(Vortrag an der Herbsttagung der DPV am 23.11.2002 in Frankfurt.)
Die Begriffe „Symbolisieren“ oder „Symbolisierung“,
die das Thema unserer Tagung sind, verweisen auf mehr oder weniger aktive
Vorgänge, in denen das Subjekt sich die Fähigkeit erwirbt, Symbole
zu bilden, d.h. Verweisungszusammenhänge herzustellen, in denen ein Element
mehr oder weniger konstant ein anderes repräsentiert. Diese Fertigkeit
erlaubt ihm dann, in einer von ihm mitgeschaffenen, mitgestalteten Welt (der
Symbole) zu funktionieren, sich in ihr zurechtzufinden. Lacan spricht nicht
von Symbolisierung als einem aktiven Vorgang, er gebraucht das sehr anders
klingende, andere Assoziationen weckende Wort „das Symbolische“,
welches statischer daherkommt, vorgegebener, unnahbarer. In der Tat, für
Lacan ist der Eintritt des Kindes in die Welt des Symbolischen nicht eine
aktive Leistung wie der Begriff der Symbolisierung das nahe legt, sondern
ein Hineingeboren werden in eine komplexe Struktur, die es umgibt, die ihm
praeexistiert, die es schon vor der Geburt weitgehend mitdeterminiert, die
es zu übernehmen gezwungen ist. Natürlich muss das Kind Ja zu dieser
Welt sagen, aber Lacan unterstreicht weniger die aktive Wahl des Subjektes,
als die Unausweichlichkeit, sich der Welt des Symbolischen zu unterordnen.
Wieso dieser Unterschied?
In der Geschichte der Psychoanalyse sind die meisten Spaltungen um die Einschätzung
der Stellung des Ichs, seiner Schwächen oder seiner Stärken entstanden.
Freud hat seinen Nachfolgern, also uns, die Frage nach der Stellung des Ichs
im Gefüge der Psyche unbeantwortet hinterlassen, weil er das Ich in seinen
Möglichkeiten sehr unterschiedlich einschätzte und darstellte. Von
„Das Ich ist nicht Herr im eigenen Hause.“ bis zu „Wo Es
war soll Ich werden.“ reichen seine Beurteilungen. Wenn er auch, wie
in einem Testament, in dem Abriss der Psychoanalyse (1938) festhält
„Die Macht des Es drückt die eigentliche Lebensabsicht des Einzelwesens
aus.“ (GW XVII, 70), so hat sich doch von jeher die psychoanalytische
Gemeinschaft geteilt in Partisanen eines mehr oder weniger starken autonomen
Ichs, das in der Kur noch weiter gestärkt werden soll, und in solche,
die im Ich ein Objekt, eine schwache, verkennende Instanz sehen. Zu letzteren
ist neben Melanie Klein in ihrer Auseinandersetzung mit der „ichorientierten“
Anna Freud gerade auch Lacan zu zählen, der seine Psychoanalyse, d.h.
seine Lektüre Freuds in Abgrenzung und in Ablehnung der Ichpsychologie
entwarf. In diesen einander diametral entgegenstehenden Einschätzungen
geht es um unterschiedliche anthropologische Modelle oder um mit Lacan zu
sprechen, der diesen Begriff ablehnen würde, um unterschiedliche Theorien
des Subjektes.
Neben der Freudrezeption prägen verschiedene spezifische französische
Elemente, von denen ich auf zwei näher eingehen möchte, die Einschätzung
des Ausgeliefertseins des Subjektes noch deutlicher. Für Lacans Ausarbeitung
der Psychoanalyse mitdeterminierend waren der Strukturalismus sowie der, und
das mag überraschend klingen, Jansenismus. In unserem Zeitalter, in dem
Theologie und der Kirche längst abgeschrieben zu sein scheinen, spielt
letzterer, wenn auch in säkularisierter Form, nach wie vor in Frankreich
eine nicht zu übersehende und zu unterschätzende Rolle. Ich weiss,
es ist nicht ungefährlich, in Zusammenhang mit Psychoanalyse, theologische
Konzepte zu mobilisieren, wird ihr doch oft eine zu grosse Nähe zu theologischem
Denken vorgeworfen, aber wie sie im weiteren Verlauf meiner Ausführungen
hören werden, erteilt gerade Lacan einer Theologisierung der Psychoanalyse
eine Abfuhr, und zwar durch die Einführung des Konzepts des Symbolischen,
das in seiner ganzen Macht letztlich unvollständig ist.
Dieselben Fragen über das Subjekt, die unterschiedlichen Auffassungen
über seine Entstehung, seine Potentialitäten und seine Bedingtheiten,
über seine Autonomie oder seine Heteronomie, die sich die Psychoanalyse
stellt, brachen und brechen in Form der Wiederkehr des Gleichen immer wieder
an Bruchstellen der Geschichte auf. Sie stellten sich in der frühen Kirche,
als die antike Welt zusammengebrochen war und der grosse Pan schwieg. Sie
stellten sich erneut im Zeitalter der Renaissance und tauchten, ohne je unterzugehen,
zu Beginn des XX. Jahrhunderts, nicht zuletzt bei Freud wieder auf.
In der frühchristlichen Kirche tobten heftige Streite um diese Probleme,
die jeweils mit der Exkommunikation eines Gegners endeten. Wie im theologischen
Diskurs üblich, sprachen die Hauptkontrahenten nicht von Autonomie oder
Heteronomie, sonders es ging bei Pelagius und Augustinus beispielsweise, um
Erbsünde und Gnade. Währens Pelagius die Fähigkeit des Menschen
zum Guten betonte und ihm freien Willen zuschrieb, wies Augustinus auf die
Unmöglichkeit für den Menschen hin, nach dem Sündenfall, aus
sich heraus, Gutes zu tun. Als in der Renaissance ein neues Menschenbild entstand,
reaktualisierten sich diese Fragen, in Deutschland zwischen Erasmus und Luther,
in Frankreich in der Bewegung des Jansenismus. Um Ihnen zu zeigen, dass ich
hiermit nicht einfach einen alten Hut aus der Geschichtskiste ziehe, möchte
ich darauf hinweisen, wie aktuell im heutigen französischen Geistesleben
eine jansenistische Untergrundströmung ist. So ist der diesjährige
Träger des Prix Goncourt, des höchsten Literaturpreises Frankreichs,
Pascal Quignard, ein Schriftsteller, der sich in seinen Werken mit dem Jansenismus
und Port Royal, der Abtei, in welcher die Anhänger der Lehre des Jansenius
Ludwig XIV. trotzten, beschäftigt. Aber auch andere Schriftsteller, wie
der grosse Henri Montherlant, der ein viel gespieltes Drama Port Royal
geschrieben hat, setzen sich mit dieser Bewegung auseinander; das im 19. Jahrhundert
von dem berühmten Kritiker Sainte-Beuve verfasste Standardwerk über
Port Royal wird in Frankreich auch heute noch viel gelesen und diskutiert.
Der Jansenismus, deren Anhänger sich um die Abtei Port Royal herum gruppierten,
definiert sich durch drei Elemente: eine theologische Position, die in zwar
abgewandelter Form, die Lehre von Augustinus aufnimmt, durch einen asketischer
Lebenswandel, der für Lacan nicht relevant war, und durch eine politische,
die Kirche und den Staat in ihren jeweiligen Kompromissbereitschaften in Frage
stellende Haltung. Dem augustinischen, pessimistischen Menschenbild (radikale
Heteronomie des Menschen; unendliche Ferne Gottes), das dem Hof und Rom stets
ein Ärgernis war, stand ein Entwurf entgegen, der auf den Jesuiten Molina
zurückging, und der als ein geschickter Kompromiss mehr im Einklang mit
einem humanistischen Ideal der Autonomie des Menschen stand. Es kam zu heftigen
Auseinandersetzungen zwischen diesen beiden Auffassungen und durch diesen
zunehmendem, immer unerbittlicher geführten Streit fühlte sich Ludwig
der XIV. so bedroht, dass er 1709 die Abtei zerstörte, nachdem der Jansenismus
in der Zwischenzeit von Rom zur Häresie erklärt und seine Anhänger
mit Exkommunikation belegt worden waren.
In der Umbruchphase zu Beginn des XX. Jahrhunderts nahm Freud in säkularisierter
Form das Problem der Autonomie oder Heteronomie des Menschen wieder auf, ohne
ihm, wie schon kurz erwähnt, eine endgültige Antwort zu geben. Wie
hätte er das auch können? Er hielt diese Frage in der Schwebe, wenn
er auch durch die Einführung des Unbewussten die Heteronomie stark betonte.
Die Bedingtheit des Individuums wurde von M. Klein und besonders von Lacan
noch stärker hervorgehoben, während der Mainstream der Psychoanalyse
eher die Autonomie unterstrich und unterstreicht. Unschwer lassen sich in
den ichpsychologisch geprägten aktuellen Ansichten der Psychoanalyse
enge Parallelen zu dem jesuitischen Menschenbild, in der Lacanschen Subjekttheorie
hingegen eine grosse Nähe zu jansenistischen Entwürfen erkennen.
Die offiziellen Institutionen vertreten, wie dies institutionelle Gebilde
immer tun, eine typische Sowohl-als-auch-Kompromisshaltung. Zu dieser Einstellung
gehört automatisch Intoleranz dem Andersdenkenden gegenüber: Pelagius
wurde exkommuniziert, die Jansenisten verfolgt, Lacan 1953 von der IPA. ausgeschlossen.
Nicht unerwähnt bleiben soll aber noch, dass Lacan, ähnlich wie
die Jansenisten, in seinem subjektzentrierten Ansatz ein nicht zu unterschätzendes
subversives politisches Potential entfaltet, wenn er fast trotzig immer wieder
fordert, dass es darum gehe, nicht in Bezug auf sein Begehren nachzugeben.
Aber neben dem Einfluss dieser jansenistischen Strömung, bekommt eine
andere Bewegung, der Strukturalismus, wie er in den fünfziger bis siebziger
Jahren im französischen Geistesleben sehr präsent war und übrigens
nach einem kurzen Abschwung wieder sehr aktuell wird, eine entscheidende Bedeutung
für Lacans Denken. Wichtig werden für ihn der Linguist de Saussure,
sowie der Ethnologe Lévi-Strauss. Von ersten übernimmt er die
synchrone, d. h. nicht historisch-entwicklungsmässige Betrachtungsweise,
das Konzept des sprachlichen Zeichens mit der Unterscheidung zwischen Signifikant
(Bezeichnendem) und Signifikat (Bezeichnetem). Von Roman Jacobson wurden die
sprachlichen Funktionsweisen der Metapher und Metonymie übernommen. Lévi-Strauss
prägte den Begriff des Symbolischen, mit dem er eine Gruppe von Systemen
wie die Sprache oder die Heiratsregeln bezeichnet, welche weitgehend unbewusst
die Gesellschaft strukturieren, ja eigentlich erst ermöglichen. Wie Lévi-Strauss
interessieren Lacan besonders die Vorgänge an der Nahtstelle zwischen
Natur und Geist. Zwar knüpft diese Fragestellung an die antike Debatte
zwischen Nomos und Physis an, lässt aber den Psychoanalytiker unwillkürlich
an Freuds Definition des Triebes als eines Grenzbegriffs zwischen Seelischem
und Somatischem denken. Somit ist die Anwendung des strukturalistischen Modells
auf psychoanalytisches Denken geradezu vorgezeichnet.
Aber nun zurück zum Symbolischen, das dem Symbolbegriff Freuds diametral
entgegengesetzt ist, nicht nur wegen der sehr unterschiedlichen Akzentuierung
der aktiven oder passiven Stellung des Individuums, sondern weil das Symbol
für Freud ein Zeichen ist, das auf eine festgelegte Beziehung zwischen
Form und Bedeutung hinweist, während für Lacan gerade das Nichtfestgelegte,
das Arbiträre zwischen Bezeichnendem und Bezeichnetem das Wesen des Symbolischen
ausmacht. Es ist ein autonomes Universum, das nicht allmählich entsteht,
sondern da ist, wenn der erste Signifikant, die erste Metapher auftaucht,
denn ein Signifikant steht nicht allein, er kann nicht allein stehen, sondern
verweist notwendigerweise auf andere Signifikanten. „Vater“ hat
keine Bedeutung, er bekommt diese erst durch seine Differenz zu „Mutter“
und „Kind“ und „Grossvater“ usw. Daher ist für
Lacan auch kein Vorher des Symbolischen denkbar, und weil wir zu diesem Vorher
nur über die Sprache Zugang haben, vertritt er die Meinung, dass so genannte
präverbale Entwicklungsfragen nicht Gegenstand der Psychoanalyse sind.
Das Symbolische als Ganzes ist ein zwingendes, unausweichliches System, das
sich allerdings in seinem Innern durch Beweglichkeit, durch Verschiebbarkeit
der Elemente auszeichnet. Lacan schreibt dazu:„ ...es ist evident, dass
die Dinge der menschlichen Welt Dinge eines Universums sind, das durch das
Wort strukturiert ist, dass die Sprache, die symbolischen Prozesse alles beherrschen,
alles regieren.“ (Éthique, S. 57) oder:„ In der symbolischen
Ordnung wird die Totalität Universum genannt. (...) Sie bildet sich nicht
allmählich. Sobald das Symbol auftaucht, gibt es ein Universum von Symbolen.“
(Le moi dans la théorie de Freud..., S. 42). Diese Charakterisierungen
des Symbolischen untestreichen deutlich die Heteronomie, das Ausgesetztsein
des Subjektes.
Wie determinierend, wie zwingend geradezu Signifikanten sein können,
soll folgendes Beispiel illustrieren.
Ein deutschsprachiger Ausländer lebt und arbeitet seit einigen Jahren
in der Schweiz, in der er sich ausgesprochen unwohl fühlt. Er meint von
den Schweizern abgelehnt zu werden und lehnt diese seinerseits ab. Zwanghaft
grübelt er täglich stundenlang an der Frage herum, ob er bleiben
oder wieder in seine Heimat zurückkehren soll. In der Analyse erzählt
er von seinem strengen, cholerischen Vater, der ihm, wenn er etwas angestellt
hatte, zu sagen pflegte:„ Das wirst du mir noch berappen.“ Der
Analytiker hört den Signifikanten Rappen und greift ihn auf. Nun fällt
es dem Patienten wie Schuppen von den Augen. Er ist in das einzige Land gezogen,
in dem er Rappen verdienen kann, um die Schuld bei seinem Vater zu bezahlen/berappen.
Die Erkenntnis dieses Zusammenhanges, der sein bisheriges Leben so stark bestimmt
hat, erlöst ihn von seinen quälenden Fragen und erlaubt ihm, endlich
eine Entscheidung zu treffen.
Nach dieser ersten kurzen Einordnung des Begriffs des Symbolischen will ich
nunmehr dem Denken Lacans, wie es sich in der Zeit entwickelt, nachgehen.
Ich möchte aufzeigen, wie das „Symbolische“, mit dem insbesondere
zwei allerdings weitgehend zusammenfallende Bereiche bezeichnet werden, derjenige
der Sprache und derjenige des Gesetzes, beim Lacan in den fünfziger Jahren
das Hauptaugenmerk vom Imaginären ablöst, um später dann seinerseits
von dem Interesse am Realen überflügelt zu werden. Die zentrale
Stellung des Symbolischen zeigt sich darin, dass sowohl das Imaginäre
als auch das Reale eigentliche Konsequenzen seines Funktionierens und, das
sei schon vorausgenommen, seiner Unvollständigkeit sind. Lassen Sie mich
die Verschränkung der drei Register illustrieren an der grundlegenden
Erfahrung des Umgangs mit dem Geschlechtsunterschied: Der Knabe macht die
Entdeckung der Andersartigkeit des anderen Geschlechtes. Er tritt damit in
die Welt des Symbolischen ein, die sich durch binäre Gegensätze
definiert: Knabe-Mädchen; Frau-Mann; Eltern-Kind; Tod-Leben usw. Die
festgestellte Differenz zum Mädchen beantwortet aber dem Knaben seine
Fragen bezüglich des Unterschieds nicht, d.h. das Symbolische ist unvollständig,
es erfasst nicht die ganze Realität, es bleibt ein unausgesprochener,
weil unaussprechlicher, in die Sprache nicht eingehender Rest, den Lacan das
Reale nennt, also das, was sich dem Symbolischen entzieht. Dieses Reale, das
Lacan auch das Wirkliche nennt, im Sinne von dem was wirkt, oder wie er sagt
„was nicht aufhört seine Wirkungen zu entfalten“ führt
nun den Knaben zu imaginären Versuchen, eine Antwort auf die offen stehende
Frage des Unterschieds zu finden. Die nahe liegende imaginäre Lösung,
die sich aufdrängt, lautet dann, dem Mädchen fehle etwas. So einfach
ist das! Dieses „Fehlen“ ist also eine imaginäre Verarbeitung,
die aus der Wirkung des Realen resultiert, welche ihrerseits ein Ergebnis
der Unvollständigkeit des Symbolischen ist. So einfach ist das! Gleiches
gilt vom Tod. Im Symbolischen ist er das Gegenteil des Lebens, aber diese
Erkenntnis erfasst nicht seine Realität, es bleibt ein nicht einholbarer
Rest, dessen unaufhörliche Wirkung zur imaginären Ausgestaltung
des Nichtvorstellbaren führt. So einfach ist das!
Wie schon erwähnt, hat sich der frühe Lacan besonders dem Imaginären,
seinen illusionären Ausbildungen und seinem Verfehlen der Wahrheit des
Subjektes zugewandt. In der französischen Psychoanalyse, auch derjenigen
nicht Lacanscher Prägung, hat sein berühmtes Spiegelstadium, das
aus dieser Zeit stammt, einen festen Platz in der Theorie und Praxis eingenommen.
In diesem Spiegelstadium beschreibt er den Eintritt des Kindes in die imaginäre
Ordnung. Das Kind zwischen 6-18 Monaten sieht im Spiegel sein Ebenbild, das
ihm im Vergleich zu seinem eigenen Körper, dessen Bewegungen es noch
nicht koordinieren, nicht kontrollieren kann, als ein Ganzes erscheint. Das
Kind begrüsst die Wahrnehmung dieses mit einem uneinholbaren Vorsprung
ausgestatteten Ideals mit einem Jubelschrei, es erkennt sich in diesem Bild
und wird sich dadurch entfremdet; das Spiegelstadium wird damit zum ersten
Ort der Verkennung, die von nun an in jedem reflexiven Akt wirksam wird (me
connaître=méconnaître; mich-kennen=verkennen). Deshalb
ist auch für Lacan jede Ichstärkung, im Sinne von Stärkung
der Selbstwahrnehmung, der reflexiven Fähigkeiten ein imaginärer,
zur Fehlwahrnehmung verurteilter Prozess. Der Gegensatz zwischen Darstellung
und Dargestelltem, zwischen Bild und Körper führt zu einer aggressiven,
nicht auflösbaren Spannung, welche fortan sowohl innerhalb des Subjektes
als auch zwischen Subjekt und Nebenmensch (wie Freud im Entwurf einer Psychologie
von 1895 sagt) seine Wirkung entfaltet. Später wird Lacan dem Spiegelstadium
eine wesentliche Ergänzung beifügen: Die Präsenz eines Dritten,
der Mutter z.B., der sich das Kind um Bestätigung, um Anerkennung bittend
zuwendet, wird mit einer solchen sprachlich oder mimisch vermittelten Bestätigung
das Kind in die symbolische Dimension einführen. Das Ich, welches an
diesem Ort entsteht, ist also eine verkennende Instanz, es ist auf Anerkennung
vom Anderen angewiesen, und verstrickt sich dabei notwendigerweise in die
Dialektik zwischen Fremd und Eigen, die im Wesen der Anerkennung liegt.
Das Symbolische, welches mit der Sprache in diese Bilderwelt einbricht, wird
somit zur Dimension des Dritten, des (grossen) Anderen. Zum Kind und seinem
Bild tritt der Andere als derjenige, der es mit Signifikanten belegt, an den
sich ein Bitte, ein Verlangen, ein Begehren richtet, deren Beantwortung erfolgen
oder ausbleiben kann, von dem aus aber auch Wünsche an das Kind gerichtet
werden. Das Medium, in dem diese Wünsche ausgetauscht werden, ist die
Sprache, ihr Agent ist der Vater, aber nicht nur er. Lacan entwickelt die
Komplexität des Sprachlich-Symbolischen aus seiner Lektüre der frühen,
das sprachliche Element umkreisenden Schriften Freuds (Traumdeutung; Witz;
Psychopathologie des Alltags) einerseits und aus seiner Beschäftigung
mit der Linguistik andererseits. Die Sprache und das Sprechen rücken
in den Mittelpunkt seines Interesses und prägen bis heute das Bild, das
sich sowohl ein Grossteil seiner Schüler als auch die Öffentlichkeit
von ihm machen. Es ist der Lacan der Signifikantendeutungen, der Wortspiele,
der Aussagen, dass das Unbewusste wie ein Sprache strukturiert ist, dass das
Unbewusste der Diskurs des Anderen ist oder dass der Mensch ein „Sprechwesen“
(un parlêtre) ist. Es ist der Lacan einer logozentrischen Position,
die ihn von „vollem und leeren“ Sprechen reden lässt, und
dem ein volles d.h. ein die Wahrheit erreichendes Sprechen möglich scheint.
Wir werden sehen, dass der späte Lacan, aus den Erfahrungen der Kur lernend,
diese Position erheblich revidieren und das Symbolische in seiner Unvollständigkeit
unterstreichen, und damit das Reale in den Vordergrund stellen wird. Diese
Akzentverlagerung führt dazu, dass bei aller Determiniertheit durch die
Sprache, die Abhängigkeit des Subjektes durch das, was nicht Sprache
wird, noch stärker unterstrichen wird.
Nach diesem kurzen Überblick über die Entwicklung der Konzepte Lacans,
stellt sich nunmehr die Frage: Wie und wann taucht das Symbolische auf? An
dieser Stelle sei daran erinnert, dass Lacans Ansatz ein strukturalistischer,
d.h. synchroner und nicht ein entwicklungspsychologischer d.h. diachroner
ist.
In anderen Worten, das Symbolische bei Lacan steht nicht am Ende einer Entwicklungskette,
deren Ziel es bildet, es ist da, ehe das Kind zur Welt kommt: dieses wird
in eine symbolische Ordnung hineingeboren. Wie schon erwähnt, das Symbolische
konstituiert sich nicht allmählich, es ist schon da, in der Sprache,
in den Gesetzen, in den gesellschaftlichen Regeln, die dem Kind mit den Vorstellungen
der Eltern über das noch ungeborene Wesen, mit den Erwartungen und Phantasien,
die sich an das kommende Kind knüpfen, vermittelt werden. Sie prägen
das Infans schon vor seiner Geburt. Namensgebung, Einreihung in eine Genealogie
fügen es in eine – imaginär mitvermittelte – unausweichliche
Ordnung hinein, der es sich unterwerfen muss. Es muss sich beispielsweise
der Sprache, die ihm zur Verfügung gestellt wird, bedienen, oder es wird
sie mutistisch ablehnen, oder sie um den Preis einer Psychose verwerfen: Sein
Begehren ist damit sprachlich determiniert; um es auszudrücken, muss
sich das Subjekt der Sprache, die nicht seine ist, die ihm vom Anderen zukommt,
bedienen. Meldet das Subjekt Wünsche an, so muss es um gehört zu
werden durch den Engpass der ihm zum Gebrauch, nicht zur Verfügung gestellten,
Worte hindurch. Lacan formuliert das so: Das Begehren ist das Begehren des
Anderen. Somit wird das Eigenste des Subjektes, sein Begehren, sein Intimstes
zu etwas vom Anderen, vom Primat des Symbolischen Mitbestimmten, zu etwas
Extimen.
Um diese Vorgänge anschaulicher zu machen, kann man sie unter Vorbehalt,
mit Rücksicht auf Darstellbarkeit, auf einer angenommenen chronologischen
Achse darstellen. Das Kind und die Mutter bilden zunächst eine Einheit
oder eine Dualität, die keine ist, da die Zwei erst nach dem Einfall
des Dritten denkbar wird. Diese Einheit ist gekennzeichnet von imaginären
Vorgängen, es wird nicht unterschieden zwischen Subjekt/Objekt, oder
wenn trotzdem, dann nur in Kategorien der Komplementarität: das Kind
ist das, was der Mutter fehlt, ihr Phallus; die Mutter ist das, was dem Kind
fehlt, sein Phallus. In diese jede Entwicklung verunmöglichende, letale
Beziehung bricht das Nein des symbolischen Vaters (Nom/Non du Père)
hinein, welcher dem Kind die Mutter als Objekt des Begehrens untersagt, und
sie damit erst zu dem begehrten, inzestuösen Objekt werden lässt.
An diesem Vorgang sind drei Aspekte zu unterscheiden:
1. Mit dem Nein/Namen des Vaters wird das Begehren (nach) der Mutter, welches
eigentlich ein Begehren des Begehrens der Mutter ist, will sagen, das Kind
begehrt nicht nur die Mutter, es will von dieser seinerseits begehrt werden,
ins Unbewusste verdrängt, das sich damit erst konstituiert. Dieser Vorgang
entspricht dem, was Freud als Urverdrängung bezeichnet hat. Fortan verweist
der Signifikant „Name/Nein des Vaters“ auf das verdrängte
Signifikat „Begehren der Mutter“. Damit ist der Kern des Unbewussten
in einem sprachlichen Vorgang entstanden, und gleichzeitig wurde die erste
Metapher gebildet (eines steht für etwas anderes: Name des Vaters steht
fortan für Begehren der Mutter). Diese erste Metapher, die nicht allein
steht, sondern sofort und notwendigerweise auf andere verweist („Vater“
allein genommen hat keinen Inhalt, er gilt nur als Differenz zu anderen Signifikanten),
ist unabdingbar für das Funktionieren der Sprache und ihren wesentlichen
Mechanismen, der Metapher und der Metonymie, die Freud in der vorlinguistischen
Ära, die Linguistik vorausnehmend, als essentielle Funktionsweisen des
Traumes Verdichtung und Verschiebung genannt hatte.
Kommt es nicht zu dieser Einschreibung des Namens des Vaters und zur Installierung
des Begehrens der Mutter ins Unbewusste, -- dieses Ausbleiben nennt Lacan
Verwerfung (forclusion) – bleibt das Kind in der Dualität, d.h.
eigentlich in einer Ununterscheidbarkeit zwischen „sich“ und dem
Gegenüber und damit in der Psychose gefangen. Strukturell gesehen kann
man sagen, dass nicht die Drei nach der Zwei kommt, sondern die Zwei die Drei
voraussetzt. Wie diese „Zwei“ aussieht, zeigte mir unlängst
in der Kur eine Analysantin, die eben Mutter geworden war, und die sich, über
sich selbst wundernd, erzählte, wie sie unwillkürlich auf die Frage
„Wie geht es Dir?“ antwortete:„ Der Kleinen geht es gut.“,
oder auf „Wie hast Du geschlafen?“ die Antwort gab:„ Die
Kleine war von zwei bis vier wach.“ Diese Frau zeigt keinerlei Anzeichen
von Psychose, aber in ihren Antworten illustriert sie die Ununterscheidbarkeit
zwischen ihr und ihrem Kind, (die sie aber selbst relativieren kann.) Im Falle
der Psychose jedoch ist diese Gleichsetzung nicht aufhebbar, wie in dem Falle
einer Folie à deux zwischen zwei Schwestern, die ich in Paris in der
Psychiatrie sah. Als eine der beiden Schwestern im Gespräch leicht zitterte
und der Psychiater sie fragte, ob ihr kalt sei, wandte sie sich an ihre Schwester
und fragte:„ Ist mir kalt?“ In diesem Fall fehlt eindeutig und
definitiv das trennende Nein.
Das Ausbleiben der Metapher, der Ersetzung eines Wortes durch ein anderes,
das in dem Vorgang aber nicht verschwindet, sondern in seiner Abwesenheit
anwesend ist, führt zu einem profunderen Verständnis der psychotischen
Spracheigenheiten. Ein schönes Beispiel von M. Bleuler soll dies erläutern.
Bleuler wollte sehen, wie es einem von ihm betreuten und nach Hause entlassenen
schizophrenen Patienten ging und so machte er sich auf, um bei dem Manne,
der von Beruf Bäcker war, Brot zu kaufen. Er trat in den Laden und fragte
die Bäckersfrau, wo ihr Mann sei. Der ist wohl in der Backstube und bereitet
Teig, erwiderte diese. Bleuler fand den Bäcker allerdings nicht dort,
sondern im dahinter liegenden Garten, wo er dabei war, dünn gewalzte
Teigscheiben auf Bäume zu werfen. Auf die Frage, was er denn da mache,
antwortete er. „Ich mache Blätterteig.“
2. Den gesetzstiftenden Aspekt möchte ich nur kurz streifen. Der Name
des Vaters führt ein Verbot ein und stiftet damit das erste Gesetz des
Inzestverbots, das zwar meist nicht explizit formuliert, etwa in den Zehn
Geboten, ist, aber wie es Lévi-Strauss in den Familienstrukturen der
meisten Gesellschaften aufgezeigt hat, als Gebot zum Austausch notwendig und
strukturbildend ist und die über die Familie hinausgehende Gesellschaft
erst ermöglicht. Für Lacan konstituiert gerade dieses Verbot die
Mutter als Objekt des inzestuösen Begehrens, da für ihn das Gesetz
und der Wunsch nach seiner Transgression zusammenfallen.
Störungen dieses gesetzgebenden Aspekts des Symbolischen begegnen wir
beispielsweise bei den Perversionen, aber auch bei den Zwangsneurosen. Bei
letzteren kommt es mangels einer festen Verankerung im Gesetz schlechthin
zur Schaffung von unzähligen Verboten und Geboten, die das unzulängliche
Gesetz stützen sollen. Im Falle der Perversionen wird das nicht verlässlich
eingeschriebene Gesetz immer wieder provokativ herausgefordert.
3. Der Aspekt des Verzichtes, der mit diesen Vorgängen einhergeht, wird
für den späteren Lacan immer wichtiger und leitet den Übergang
zum Konzept der Unvollständigkeit des Symbolischen ein. So wie schon
in Freuds Jenseits des Lustprinzips der kleine Enkel durch sein Fort/Da
auf die unmittelbare Präsenz des Objektes Mutter zugunsten einer grösseren
Unabhängigkeit verzichten konnte, so ist jedes Sprechen ein Verzicht
auf die (vermeintliche) Unmittelbarkeit des Objektes. Sprechen an sich heisst
schon verzichten, verzichten auf ein Geniessen, auf eine direkte Bemächtigung
(emprise) des Objektes, die ja ohnehin nicht möglich ist, aber für
möglich gehalten wird. Aber dieser Verzicht wird kein vollständiger
sein: das Subjekt wird versuchen, einen Zipfel des Geniessens hinüberzuretten,
es aufzuheben. Es wird an dem Glauben an die Existenz eines absoluten Geniessens
festgehalten, indem es dieses dem Anderen zuschreiben wird, dem mütterlichen
Anderen oder dem Vater der Urhorde. In anderen Worten, wenn das Subjekt sich
der Kastration – das eine andere Bezeichnung für die Unterstellung
unter das Symbolische ist - unterziehen muss, so soll phantasmatisch die Existenz
von wenigstens Einem/Einer, die/der der Kastration entgeht, aufrecht erhalten
bleiben. Abgesehen davon, dass hier wohl eine der wesentlichen Wurzeln der
Gottesvorstellungen liegt, spielt die Weigerung, die Kastration für alle,
also auch für den Vater, gelten zu lassen, in der Kur und der Übertragung
eine massgebliche Rolle, auf die ich noch zurückkommen werde.
Die Annahme der Kastration hat bei allem Zwang etwas Befreiendes – dieses
Oxymoron sei mir hier erlaubt – , hilft sie doch dem Subjekt aus der
dualen Beziehung – Phallus der Mutter zu sein – heraus. Allerdings,
solange es sich aber nur den Wünschen des Vaters unterwirft, hat es die
ödipale Einstellung nicht überwunden. Die Kastration annehmen heisst
den Mangel, der das Begehren schafft, annehmen und eröffnet den Zugang
zu einem Begehren, das nicht mehr dem väterlichen Ideal unterworfen ist.
Vielleicht müssen hier einige Bemerkungen über den Begriff der Kastration
bei Lacan eingeführt werden, unterscheidet er sich doch nicht wenig von
dem üblichen Gebrauch dieses Konzeptes in der Psychoanalyse. Während
die Kastration, etwas verkürzt formuliert, den realen oder phantasierten
Verlust des Penis bezeichnet, bedeutet sie für Lacan nie den Verlust
des realen Organs; im Gegenteil da, nur wo die symbolische Kastration –
die gleichbedeutend ist mit der Unterwerfung unter das Symbolische, gleichbedeutend
auch mit der Errichtung der ersten Metapher - nicht stattgefunden hat wie
in der Psychose, kommt es manchmal zu Verstümmlungen am realen Organ.
Sie bezeichnet immer einen symbolischen Vorgang, der sich auf den Verlust
eines imaginären Objektes, hier des Phallus, der ja nicht dem Penis gleichzusetzen
ist, bezieht. Vor diesem imaginären Objekt sind Knaben und Mädchen
in einer gleichen Position. Beide wollen Phallus der Mutter sein, das heisst
beide begehren deren Begehren. Sich dem Inzestverbot, das vom symbolischen
Vater aus geht, das aber durchaus von der Mutter ausgesprochen werden kann,
unterwerfen bedeutet, die Position, Phallus der Mutter zu sein aufzugeben,
um den Phallus haben oder nicht haben zu können. Aber auch diese Position
muss aufgegeben werden, denn niemand ist im Besitz dessen, was dem anderen
fehlt. Von nun an erscheint der Phallus immer wieder in Träumen als etwas
vom Körper losgelöstes und wird zum endgültig verlorenen (nie
bessessenen) Objekt, welches Ursache des Begehrens wird.
(Freud hat in London 1938 diesen Übergang thematisiert in fragmentarischen
Überlegungen, die unter dem Titel Ergebnissen, Ideen, Probleme
erschienen sind, und in denen er festhält:„ –Haben und Sein
beim Kind. Das Kind drückt die Objektbeziehung gern durch die Identifizierung
aus: ich bin das Objekt. Das Haben ist die spätere, fällt nach Objektverlust
ins Sein zurück. .Muster: Brust. Die Brust ist ein Stück von mir,
ich bin die Brust. Später nur: ich habe sie, d.h. ich bin sie nicht...“
GW XVII, 151. )
Aber nochmals sei darauf hingewiesen, die Annahme der Beschränkung, des
Verzichtes wird nie eine vollständige sein, und den daraus folgenden
Konsequenzen begegnen wir besonders bei den Neurosen, bei denen gerade im
Symptom ein Teil des nicht aufgegebenen Geniessens aufgehoben und befriedigt
wird. Freud meint dazu in den Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse:„
Symptome dienen der Sexualbefriedigung der Kranken, sie sind ein Ersatz für
solche Befriedigung, die sie im Leben entbehren.“ (S. 296) In der 23.
Vorlesung Die Wege der Symbolbildung untersucht er diese Mittel des
libidinösen Geniessens im Symptom und hält fest:„ Das Symptom
wiederholt irgendwie jene frühinfantile Art der Befriedigung, entstellt
durch die aus dem Konflikt hervorgehende Zensur, in der Regel zur Empfindung
des Leidens gewendet und mit Elementen aus dem Anlass der Erkrankung
vermengt.“ (S. 356-7) und etwas weiter:„ Die Art der Befriedigung,
welche das Symptom bringt, hat viel Befremdendes an sich. Wir sehen davon
ab, dass sie für die Person unkenntlich ist, welche die angebliche Befriedigung
vielmehr als Leiden...empfindet und beklagt.“ (S. 357)
Es wird Ihnen aufgefallen sein, wie oft ich hier von „Müssen“
spreche. Ich hoffe, es ist deutlich geworden, dass ich damit das Zwingende,
das Unvermeidliche ausdrücken will, das mit dem Symbolischen als Ganzem,
als Ordnung, als Register verknüpft ist.
Ist das Symbolische erst einmal installiert, so legt es den geschlechtlichen
Körper und das Geschlecht fest, es ordnet dem Subjekt seinen Ort in der
genealogischen Reihenfolge zu, es determiniert weitgehend sein Schicksal,
welches für Lacan durch die Signifikanten bestimmt wird. Das gilt auch
für die geschlechtliche Identität, für die ja weniger, wie
Freud annahm, die Anatomie das Schicksal ist, sondern die weitgehend durch
den elterlichen Diskurs, den Diskurs des Anderen, durch das Symbolische determiniert
wird. Das gilt aber nicht nur für den geschlechtlichen Körper, sondern
für den Körper ganz allgemein, der beispielsweise in der Konversion,
unter dem Impakt des Signifikanten zu einem anderen, nunmehr beschriebenen
Körper wird. Das Symbolische, das Sprachliche legt sich nicht nur wie
ein Schleier über Vorbestehendes, sondern das Vorgegebene, in diesem
Falle der Körper, wird in seine Ordnung gezwungen, von ihm subvertiert.
Das meint Lacan mit dem Primat des Signifikanten.
Aber bei Lacan fällt die Ausarbeitung der Kastration und der Macht des
Symbolischen, seines sprachlichen und gesetzgeberischen Aspektes, der väterlichen
Funktion, zusammen mit der Aufdeckung und Hervorhebung seiner Grenzen. Lacan
hat die Position des Vaters bei aller Unentbehrlichkeit für die Installierung
des Symbolischen zunehmend relativiert gegenüber dem mütterlichen
Anderen und meinte: „Le père, c’est si peu de chose.“
Der Vater als Meister, als Herr, wird zu einem Vater des Fehlens, des Mangels.
Ausgelöst wurde diese grundlegende Wandlung des Konzeptes des Symbolischen
und des Vaterbildes, welches ja Träger des Symbolischen ist, durch den
sozialen Wandel in der Position des Vaters, dadurch dass der wirkliche Vater
seiner symbolischen Funktion nicht gerecht werden, ihr nicht genügen
kann: er muss in seiner Vermittlung des Symbolischen als ebenfalls Kastrierter
zumindest teilweise scheitern, was Lacan veranlasst hat, zu sagen, dass der
Vater, gemäss einem Drama von Paul Claudel, immer ein erniedrigter Vater
(père humilié) ist. Allerdings muss der Vater diese Position,
sich selbst dem Gesetz zu unterstellen, einnehmen, denn Lacan hat gezeigt,
dass viele Väter von späteren Psychotikern Väter sind, die
sich dem Gesetz nicht unterstellen, sondern selbst das Gesetz sein wollen,
man denke hier nur an den Vater des Senatspräsidenten Schreber. Andererseits
ist diese Wandlung in der Bewertung des Symbolischen das Resultat der klinischen
Erfahrung: Analysanten halten an ihren Symptomen trotz „fachgerechter“
Deutung fest. Manchmal geben sie nach und trotz psychoanalytischer Bearbeitung
(d.h. nach Bewusstmachen der unbewussten Determinanten) z.B. einer Brückenphobie,
diese nicht auf. Freud hatte schon diese Erfahrung gemacht und geraten, den
Analysanten dazu aufzufordern, trotz der noch bestehenden Restangst, die Brücke
zu überqueren.
Seinen Niederschlag fand die Konzeption der Unvollständigkeit besonders
in der Ausarbeitung der Kastration des Anderen und in der Feststellung, dass
die versuchte Ablehnung der Kastration innerhalb und ausserhalb der Kur zuerst
und vor allem die Weigerung ist, die Kastration des Anderen anzuerkennen.
Die symbolische Anerkennung des Mangels im Anderen, die zusammenfällt
mit der Anerkennung der Unvollständigkeit des Symbolischen, hat Lacan
ausgedrückt in der Formel: „Es gibt keinen Anderen des Anderen“,
d.h. es gibt für diesen Anderen keine Garantie und keinen Garanten, auf
den er sich berufen könnte. Freuds „festgewachsener Felsen“
bezeichnet meines Erachtens eher den Widerstand gegen die Annahme dieses Mangels
im Anderen als die Kastration des Subjektes selbst.
Die Relativierung der Macht und der Potenz des Symbolischen hat entscheidende
Konsequenzen.
1. Die von den Psychoanalytikern so sehr geliebte und so vielfach beschworene
Identität ist in ihrer, im wesentlichen, imaginärer Natur ontologisch
nicht mehr haltbar und wird zu einem unabschliessbaren Verweisspiel, welches
Lacan so ausdrückt: Der Signifikant repräsentiert das Subjekt für
einen anderen Signifikanten.
2. Die Position des Analytikers ändert sich grundlegend. Jeder Form von
vermeintlich gesichertem Wissen wird der Boden unter den Füssen entzogen.
Damit können Deutungen in der Kur nicht länger als Zuschreibungen
von Bedeutungen verstanden werden, sie sind höchstens Andeutungen, die
entlang metonymischen Ketten gleiten. Freud hat uns das in seinen Behandlungen
des Rattenmannes (Bemerkungen über einen Fall von Zwangsneurose),
mit den Signifikantenketten „Ratte“, „Rate“, „hei-raten“
oder im Wolfsmann mit „fünf“, „V“ oder den Schmetterlingsflügeln
vorgemacht, aber auch im Kleinen Hans, wo er die vielen Signifikate unterstreicht,
auf die der eine Signifikant „Pferd“ verweist; das Pferd steht
nicht nur für den Vater, wie fälschlicherweise so häufig „miss-gelesen“
wird.
Das Wissen des Analytikers, das er, wenn es sich um die Wahrheit seines Analysanten
dreht, sowieso nicht besitzt, muss zurückgestellt werden, oder muss,
wie es Nietzsche so treffend formuliert, zu einem „verzichtenden Wissen“
werden.
Diese Annahme der Kastration des Anderen ist nie vollständig und endgültig.
Das Subjekt wehrt sich weniger gegen seine eigene Kastration als gegen diejenige
des mütterlichen oder väterlichen Anderen. Es beginnt geradezu ein
Kampf gegen diese Einsicht, das Kind nistet sich in die Lücken, Risse
und Ritzen im Diskurs des Anderen ein, um dessen Vollständigkeit aufrecht
zu erhalten oder sie, wenn sie ins Wanken gerät, zu stützen oder
wieder herzustellen.
Zwei Beispiele mögen das illustrieren.
Eine Analysantin erzählt, dass sie als zweites Kind nach einem Bruder
und vor einer Schwester geboren, sich nicht als Knabe fühlen konnte und
sich als Mädchen nicht sehen wollte. Beim gemeinsamen Spielen in der
Badewanne schaute sie zu, wie Bruder und Schwester sich gegenseitig ihre Geschlechtsteile
zeigten, während sie damit beschäftigt war, in der Genitalgegend
mit in der Wanne schwimmenden Spielzeugelementen eine Art Wasserrad zu konstruieren,
das sich deutlich von der Anatomie der Geschwister abhob. Im Laufe der Analyse
wurde an dieser Schlüsselszene vieles erkennbar und deutbar. Unlängst
erinnerte sie sich daran, wie die Mutter vor den Kindern aber auch vor Erwachsenen
eine ausgesprochen ausgeglichene, nicht diskrimierende Haltung gegenüber
den zwei Geschlechtern vertrat. Als Kind habe sie gehört, wie die Mutter
dem Vater sagte, dass Frauen sie nicht interessierten und sie deshalb auch
kein Interesse an Gesprächen mit ihnen habe. Im übrigen seien Männer
auch nicht besser, am sinnvollsten sei die Schaffung eines neuen Geschlechtes.
Unsinn, habe der Vater sich ereifert, Blödsinn! Die Mutter habe auf diese
Reaktion hin bitterlich geweint. In der Konstruktion eines dritten Geschlechtes
versucht sich das Kind nun der Mutter als deren Wunsch entsprechend anzubieten.
Sie hebt aber auch, und darum geht es mir in meinen Ausführungen zu unserem
Thema, den Mangel der Mutter, der sich im vom Vater so bezeichneten Unsinn
und Blödsinn kundtat, auf, sie stellt ihre Mutter wieder her: es gibt
dieses dritte Geschlecht, die Mutter erzählt keinen Unsinn, scheint sie
zu sagen.
Ein Analysant, höherer Beamter bei einer Behörde, spricht von seiner
Hemmung, einen Brief an die übergeordnete Behörde zu schreiben,
um diese darauf hinzuweisen, dass sie den Sonderurlaub, der ihm nach zwanzig
Jahren Anstellung zusteht, übersehen hat. Er ist deswegen, wie er auf
meine Frage antwortet, nicht beleidigt, fühlt sich auch nicht benachteiligt
oder gekränkt. Schuldgefühle hemmen ihn, wie er versichert; er fragt
sich ständig, was er falsch gemacht habe. Im weiteren ergibt sich, dass
er es nicht wagt, die Behörde zu belästigen: diese begehe doch keinen
Fehler. Es wird nun deutlich, dass er schuldig daran werden könnte, dass
die Behörde, also auch eine Komponente des Symbolischen, nicht unfehlbar,
nicht perfekt, nicht vollständig sein und erscheinen könnte. Unbewusst
hält er daran fest, dass der Andere nicht kastriert ist. Einige Wochen
später wird seine Tochter nicht versetzt; er ist diesmal überzeugt,
dass eine Fehleinschätzung der Schule vorliegt. Erstmals kann er, als
Ergebnis der analytischen Arbeit, - wenn auch für einen anderen, - einen
Rekurs einreichen.
In dem letzten Teil meiner Ausführungen soll das Symbolische in der Kur
näher angeschaut werden. Damit werde ich allerdings, wie schon im ersten
Teil, nur einen Aspekt der Konzepte Lacans auswählen und wesentliche
Teile seiner Beschäftigung mit der Position des Analytikers nicht einmal
streifen können. Auf einer ersten imaginären Ebene ist der Analytiker
Projektionsfigur für Idealisierungen, er ist der Wissende, derjenige
dem, wie Lacan sagt, Wissen unterstellt wird. Auf einer zweiten symbolischen
Ebene ist der Analytiker der Repräsentant des symbolischen Vaters, der
das Gesetz einführt, der die sprachlichen Determinierungen des Symptoms
und des Subjektes erkennt und sie auf Signifikantenebene deutend aufgreift.
Dies erfolgt durch das Aufgreifen der Äusserungen des Unbewussten, wie
es sich in seinen Versprechern oder seinen Fehlhandlungen artikuliert; in
ihnen manifestiert sich ja das Subjekt (des Unbewussten) in bevorzugter Weise.
Indem also das Ich, das imaginäre Anerkennung sucht, frustriert wird,
in seinen verfremdenden und verfremdeten Bildern nicht anerkannt d.h. aber
auch nicht verkannt wird (hier fallen Anerkennen und Verkennen zusammen),
wird im Analytiker der Andere gesehen, der seinerseits den Andern des Subjektes
anerkennt. Weil der Analytiker nicht Adressat der Rede des Analysanten ist,
geht es nicht nur um Anerkennung, sondern darum, die Negativitätsarbeit
des Analysanten zu unterstützen, ihm seine Signifikanten zu restituieren.
Er hat aber drittens eine reale Funktion, in der er zum Objekt, zur Ursache
des Begehrens des Analysanten wird. Zu diesem Objekt, das sei hier nur kurz
erwähnt, wird er besonders in der Übertragungsneurose.
In seiner symbolischen Funktion als Vermittler des Gesetzes, die er als Deutender,
als Sprechender einnimmt, muss sich der Analytiker dem Gesetz unterstellen,
das besagt, dass in der Kur nichts als ein Austausch von Worten vor sich geht.
Der Analytiker wird zum Stellvertreter, zum Vermittler des Gesetzes aber auch
dadurch, dass er die Grundregel mitteilt, dass er Nein zu den Versuchen der
Triebbefriedigung in der Kur sagt.
Vom imaginären anderen, der im wesentlichen aus den Erwartungen und den
Projektionen des Analysanten besteht, wird er zum grossen Anderen, der radikal
anders ist, der deutet, der durch Unterstreichungen und Skandierungen den
Hort der Signifikanten öffnet und dadurch dem Analysanten das Subjektsein
erschliesst, indem er ihm seine Signifikanten, die ihn als Subjekt determinieren,
zurückgibt. (cf. Beispiel mit Rappen)
Ein Analysant, der in seiner Jugend eine anorektische Episode durchlebte,
und auch aktuell, mit 37 Jahren, an Essstörungen leidet, hat im Verlauf
der Analyse seinen Vater als einen Mann geschildert, der abgesehen von einigen
kurzzeitigen asketischen Anwandlungen, ein ausgesprochener bon vivant war
und der grosse Mengen ass und trank. Der Vater habe ihn an den Gargantua von
Rabelais erinnert, seine imposante Leibesfülle habe ihm immer Angst gemacht.
In einem Traum wird bei einem Essen vom Vater Cortison verabreicht. Er gerät
in einen Panikzustand und will weglaufen...
Der mager-schmächtige Analysant assoziiert dazu, dass der Vater ihn mästen
wolle, um ihn sich ähnlich zu machen. Ich greife den Signifikanten Cortison
auf und lasse „Koch di (deinen) Sohn“ hören. Nicht um ihn
sich ähnlich zu machen, sondern um ihn aufzuessen, fügt er hinzu
und erinnert sich an Ängste, vom Vater aufgefressen zu werden, und daran,
dass er aus einem Buch mit Illustrationen zur griechischen Mythologie die
Seite, auf der Kronos seinen Sohn verschlingend dargestellt war, herausgerissen
hatte, weil der Anblick ihn, im Gegensatz zu anderen grässlichen Darstellungen,
zu sehr ängstigte. Im Verlauf der folgenden Stunden taucht dann, ausgehend
von dem vom Analysanten eingebrachten Signifikanten „mästen“
erstmalig die Angst, von der Mutter aufgefressen zu werden, auf. Seine Anorexie,
seine Magerkeit diente auch dazu, beim Hexentest, wie in Hänsel und Gretel,
einen dünnen Finger präsentieren zu können.
Eine junge Mutter erzählt, dass sie, jetzt wo ihre Tochter vier Monate
alt ist, sich gelegentlich eine Woche ohne diese vorstellen kann, da sie bei
doch auch sehr anstrengend sei. Sie sagt dies ohne einen Anklang von Schuldgefühlen.
Etwas später in der Stunde erwähnt sie, sie sei etwas beunruhigt,
weil sie nachts so fest auf die Zähne beisse, dass sie morgens Kieferschmerzen
habe. Besonders beschäftige sie aber, dass sie sich abends beim entspannenden
von beiden sehr genossenem Stillen dabei ertappt habe, ebenfalls die Zähne
bis zum Schmerz zusammen zu beissen. Ihr selbst fällt dazu die Redensart
„die Zähne zusammenbeissen“ ein, sie kann damit aber zunächst
nichts anfangen. Später in der Stunde erwähnt sie, dass ihr Vater
zu Besuch war, und dass dieser ihr immer als sehr tolerant und liberal erschienene
Mann insistiert habe, sie dürfe die Tochter nicht so verwöhnen.
Zu ihrem grossen Erstaunen, erzählt sie schmunzelnd und nachsichtig,
habe er gar gemeint, sie müsse der Kleinen eine grössere Frustrationstoleranz
beibringen. Er habe bestätigt, was ihr ihre ebenfalls nachsichtige, eher
verwöhnende Mutter erst neulich erzählt habe, dass sie selbst nicht
gestillt worden sei und dass sie nach Plan, also alle sechs Stunden gefüttert
wurde, egal ob sie schrie oder nicht. Sie unterstreicht dann, wie meilenweit
sie sich im Umgang mit ihrer Tochter aber auch in anderen Bereichen von dieser
strengen Haltung der Eltern entfernt habe, wird dann zunehmend nachdenklicher
und sagt, dass sie eigentlich bisher immer geglaubt hatte, eigentlich so wie
ihre Eltern zu handeln, nämlich nachsichtig, auf das Kind und seine Bedürfnisse
eingehend. Ich meine dann, der Vater habe eigentlich eine „auf die Zähne
beissen-Haltung“ vertreten. Jetzt wird ihr das eigene Symptom durchsichtiger
und sie kann in den folgenden Stunden unter ihrer wesentlich entspannteren
Haltung sich und ihrer Tochter gegenüber zahllose Indizien ihrer bisherigen,
unbewusst sehr fordernden väterlichen Einstellung wahrnehmen.
Wie diese Beispiele zeigen, erlaubt die Sprache aber gerade auch, durch Interpretation,
die nicht Herrschaft sein will, sondern die subjektive Bedingtheit aufweist,
den Herrschaftsaspekt der Sprache aufzudecken und ihn zurückzubinden.
Denn die so verstandene Interpretation, die immer eine vorläufige ist
und sein muss, die durch die nächste relativiert wird, die nicht umzingeln,
sondern umkreisen soll, verweist immer auch auf die Begrenztheit der Deutung
und des Sprechens des Analytikers. Diese Grenzen anerkennen heisst auf eine
direkte „emprise“, einen direkten Zugriff auf das Subjekt verzichten.
Das einzige Wissen, das sich auf Seiten des Analytikers befindet, ist das
Wissen um seine Sterblichkeit.„Was muss der Analytiker in der Analyse
wissen?“ fragt Lacan und antwortet: „Er weiss nicht mehr als die
anderen, ausser dass er ein Wesen ist, das dem Tode geweiht ist.“ (Écrits,
S. 349.) Dieses Wissen aber ist nicht ein abstraktes, sondern ein in der Kur,
in jeder Kur aktualisiertes. Er muss wissen, dass er als Subjekt dem Wissen
unterstellt wird sterben muss, ja schon gestorben ist; dass er als Anderer
sterben wird, dass er als Objekt fallen gelassen wird, dass er für jeden
einzelnen Analysanten unbrauchbar und überflüssig werden wird.
Aus meinen bisherigen Ausführungen mag deutlich geworden sein, dass das
Konzept der Unvollständigkeit des Symbolischen in seinen Konsequenzen
auch für die Kur den Vorwurf von A. Green, der in der Anerkennung der
symbolischen Kastration als Ende und Ziel des analytischen Prozesses ein phallisches
Primat und eine Machtausübung sieht, unhaltbar macht; das Gegenteil ist
der Fall. (A. Green: Der Kastrationskomplex. Tübingen, edition
diskord, 1966.)
Seiner Unvollständigkeit, seiner Beschränkung muss sich also der
Analytiker als symbolischer Anderer bewusst sein. Erst dann wird er sein Alleinsein,
seine Einsamkeit in der Kur annehmen und aushalten können, ohne sich
zum Beispiel auf die Theorie, die dann etwas wie ein Anderer des Anderen wäre,
zu berufen. Lacans schon zitiertes „Es gibt keinen Anderen des Anderen“
bedeutet also auch, dass es keine Garantie, keinen Garanten – weder
Theorie, noch Supervision, noch der eigene Analytiker - für den Analytiker
gibt. In diesem Sinn ist auch der so oft missverstandene Satz Lacans zu verstehen:„Die
Ermächtigung (für seine Tätigkeit) kann nur der Analytiker
selbst sich geben“. (L’analyste ne s’autorise que de lui-même.)
Dieser Satz ist nicht eine Ausgeburt einer Hybris, er ist eine Beschränkung,
eine Warnung, aber auch ein Versprechen. Stellt sich der Analytiker seiner
Unvollständigkeit, dann ist ein erster Widerstand in der Kur behoben,-
denn Lacan war der Meinung, dass der Widerstand zuerst und hauptsächlich
der Widerstand des Analytikers ist.
Aber nicht nur der Analytiker muss diesen Schritt machen, sondern auch der
Analysant, der nicht unbedingt bereit ist, die Illusion der Vollständigkeit
des Analytikers, aufzugeben und anzuerkennen, dass auch der Andere kastriert
ist. Die Kur mit ihren Übertragungsschicksalen kann unter diesem Blickwinkel
als ein steter Kampf gegen diese Einsicht angesehen werden.
Eine Analysantin hat in einer mehrjährigen Analyse ihr Kastration anerkannt
und Abschied von vielen imaginären Illusionen genommen. Als auch der
Abschied von idealisierenden Anteilen an der Übertragung auf den Analytiker
nicht mehr zu umgehen schien, begann sie plötzlich in bisher unbekannter
Weise diesen als ein bösartiges, teuflisches Geschöpf zu sehen,
das ihr böse wolle, ihr Schaden zufüge und sie allein und einsam
auf der Couch schmoren liesse. Zufällig traf die Analysantin den Analytiker
mit seiner Frau in der Stadt beim Einkaufen. Sie geriet daraufhin in den folgenden
Stunden in einen fast stuporösen Zustand. Eifersucht, Neid und ähnliche
Affekte ansprechen, blieb ohne Wirkung. Deutungsangebote, die sich auf eine
frühe Mutterübertragung bezogen, verhallten ohne Effekt. Erst als
deutlich wurde, dass die Analysantin den Analytiker in dieser negativ gefärbten
Machtposition weiterhin als nicht kastrierten Anderen aufhob, klang diese
paranoide Episode ab. Sie konnte auch jetzt unter Scham- und Schuldgefühlen
sehen, dass diese heftige Reaktion auf die Frau durch Enttäuschung ausgelöst
worden war. Sie hatte sich die Partnerin ihres Analytikers als ein ideales
Wesen vorgestellt, das auch ein Beweis der Nicht-Kastration desselben dargestellt
hätte. Später stellte sich dann heraus, dass sie darüber enttäuscht
war, dass der Analytiker nur eine Frau hatte und ihm nicht alle Frauen für
sein absolutes Geniessen zur Verfügung standen. Die beschriebene Episode
aus der Endphase einer Analyse stellte also einen letzten Versuch dar, die
Kastration des Anderen nicht anerkennen zu müssen. Die machtvolle Bösartigkeit
des Analytikers bewahrt in gewissem Sinn seine Vollständigkeit oder stellt
sie wieder her.
Eine andere Analysantin erzählt folgenden Traum. Ihre Analytikerin (die
Analysantin ist in Analyse bei einem Mann) erhebt sich von ihrem Stuhl, geht
zu der Analysantin hin auf die Couch, und streichelt sie an den Brüsten
und am Genitale bis zum Orgasmus. Sie erlebt dabei angenehme Empfindungen.
In einem zweiten Traumteil erzählt ihr die Schwester der Analytikerin,
dass diese einen Penis habe und sich vor einiger Zeit eine Vagina in den Analkanal
einbauen liess. Auf die Frage des Analytikers, wo diese Vagina herkomme, antwortet
sie ohne zu zögern:„ Aber das ist natürlich meine.“
Es kann hier nicht den ganzen Verflechtungen des Traumes nachgegangen werden.
Es sei bloss der für meine jetztigen Ausführungen relevante Zusammenhang
erwähnt. Indem sie den Analytiker als Analytikerin träumt, indem
sie die Analytikerin mit Penis und Vagina ausstattet, macht sie die Übertragungsfigur
zu dem grossen Andern, der unkastriert, dem Gesetz der Geschlechterdifferenz
enthoben, bewahrt wird. Um diesen grossen Anderen, der nicht einem Geschlecht
zugeschrieben wird, in dieser Position zu belassen, opfert sie ihm zu seiner
Vervollständigung ihr eigenes Geschlecht.
In diesen Versuchen, an der Anerkennung der Kastration des Anderen vorbeizukommen,
diesen als vollständig und vollkommen stehen zu lassen, um an dieser
Vollständigkeit teilhaben zu können, wird der Wunsch deutlich, an
einem absoluten Geniessen zu partizipieren. Aber die Ausrichtung der Kur führt
zur Anerkennung dieser Kastration, auch wenn diese Anerkennung nicht ein für
allemal gegeben sein wird. Warum das ? Erinnern Sie sich daran, dass in der
Konstituierung der ersten Metapher, welche Freud Urverdrängung nennt,
das Begehren der Mutter, des inzestuösen Objekts, unter den das Symbolische
tragenden Namen des Vaters verdrängt wurde. Wir wissen alle, dass die
Verdrängung die beste Art und Weise darstellt, etwas nicht zu vergessen,
etwas nicht aufzugeben. Somit bleibt das Subjekt, trotz des unvollständigen
Schutzschirmes, den das Symbolische ja darstellt, für immer der Anziehungskraft
des inzestuösen Objektes ausgesetzt.