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Dr. Raymond Borens

Neuweilerstrasse 38, CH-4123 ALLSCHWIL
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Jenseits der Anerkennung

Die drei Stadien der Übertragung.


Once again ―Übertragung. Once again ―Übertragung, als komplexester und umstrittenster der psychoanalytischen Grundbegriffe. Once again ― Wiederholung. Once again... Ist Übertragung Wiederholung? Aber was ist Wiederholung? Ist das letzte „Once again“ eine Wiederholung des ersten? Kann man, in Anlehnung an Frege, diese vier „Once again“ als Repetition des viermal Gleichen 1+1+1+1 schreiben? Oder muss man 1+1’+1’’+1’’’ schreiben, um die Differenz zwischen den einzelnen Ereignissen zu unterstreichen? Oder gar 1’+1’’+1’’’+1’’’’, um zu markieren, dass schon das erste Mal eine Wiederholung ist? Heraklit sagte, dass wir niemals zweimal in den gleichen Fluss steigen; ein identischer Ablauf eines in der Zeit versetzten Geschehens ist nicht möglich, und wäre es auch nur durch den Ablauf der Zeit verwandelt. Der für die Psychoanalyse relevante Unterschied zwischen zwei Geschehen ist aber ein anderer. Zum einen hat sich das erlebende Subjekt verändert, zum anderen markiert dessen Wunsch, eine Erfahrung zu wiederholen, diese mit dem Zeichen des Vergangenen, des Verlorenen. Wie die Übertragung nicht die Wiederholung einer ursprünglichen Erfahrung ist, da diese selbst schon in ihrer scheinbaren „Erstmaligkeit“, die keine ist, schon immer Wiederholung, schon immer Übertragung darstellt, so ist auch die Wiederholung nicht die Reproduktion von etwas Erstmaligem. Die Wiederholung ruft nachgerade den Verlust des gesuchten Zuwiederholenden hervor; indem sie aus der ersten Situation eine wiederholte oder zu wiederholende macht, verliert diese für immer ihre Ursprünglichkeit. Illustrieren möge dies folgende Episode:
Ein Analysant erzählt, dass er in seiner Hochzeitsnacht ein erstes Mal mit seiner Frau schlief. Während des ersten Koitus kam ihm plötzlich der Einfall, seiner Frau ein zusätzliches Hochzeitsgeschenk in Form von so vielen Akten, wie sie Jahre zählte, zu machen. Dieser Gedanke markierte den ersten Beischlaf mit dem Zeichen des Wiederholbaren und damit des schon in seiner Erstmaligkeit Verlorenen. Somit sind Wiederholung, aber auch „das erste Mal“ immer schon Umänderungen, Umwandlungen. Dieses unvermeidliche Faktum markiert auch die Übertragung mit dem Zeichen der Differenz, und damit des Verlorenen.
Wie in einer Wiederholung immer ein Verlorenes zugegen ist, so eröffnet gerade die Unmöglichkeit einer reinen Reproduktion, die Differenz also, die Möglichkeit zur Einführung von etwas Neuem, von etwas noch nicht Dagewesenen. Insofern ist die Übertragung, gerade auch in ihrem Wiederholungsaspekt, etwas Neues, das, bei aller Determiniertheit durch Vergangenes, bei allem Streben, Geschehenes wieder-zuholen, die Entstehung von Unbekanntem ermöglicht. Die reine Determination ist nur retroaktiv, nach hinten gerichtet; in der Zukunft liegt auf Grund der Begegnung mit dem Analytiker, und der sich daraus ergebenden Dynamik etwas Undeterminiertes, Unfestgelegtes. Während sie sich in der aktuellen Kur abspielt, schaut die Übertragung wie Janus bifrons in die Vergangenheit und in die Zukunft.
Lacan hat, um das Missverständliche der „Wiederholung“ im Kontext der Übertragung zu vermeiden, vorgeschlagen, das aus der Vergangenheit auftauchende, die Übertragung mitdeterminierende Element als „Insistieren“ zu bezeichnen. Was mit Insistieren gemeint ist, sollen ein Traum und seine Bearbeitung, wie sie Freud in den Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse beschreibt, sowie eine kurze Episode aus einer Analyse illustrieren.
„ Also eine junge, aber schon seit vielen Jahren verheiratete Dame träumt: Sie sitzt mit ihrem Manne im Theater, eine Seite des Parketts ist ganz unbesetzt. Ihr Mann erzählt ihr, Elise L. und ihr Bräutigam hätten auch gehen wollen, hätten aber nur schlechte Sitze bekommen, je für l fl. 50 kr., und die konnten sie. ja nicht nehmen. Sie meint, es wäre auch kein Unglück gewesen.
...Woher das Detail, dass eine Seite des Parketts unbesetzt ist? Es ist eine Anspielung auf eine reale Begebenheit der vorigen Woche. Sie hatte sich vorgenommen, in eine gewisse Theatervorstellung zu gehen, und darum frühzeitig Karten genommen, so früh, dass sie Vorverkaufsgebühr zahlen musste. Als sie ins Theater kamen, zeigte es sich, wie überflüssig ihre Sorge gewesen war, denn eine Seite des Parketts war fast leer. Es wäre Zeit gewesen, wenn sie die Karten am Tage der Vorstellung selbst gekauft hätte. Ihr Mann unterliess es auch nicht, sie wegen dieser Voreiligkeit zu necken...
Sie hat uns aber doch soviel Material in ihren wenigen Einfällen zugetragen, dass daraus das Erraten der latenten Traumgedanken möglich wird. Es muss uns auffallen, dass in ihren Mitteilungen zum Traum an mehreren Stellen Zeitbestimmungen hervortreten, die eine Gemeinsamkeit zwischen verschiedenen Partien des Materials begründen. Sie hat die Eintrittskarten ins Theater zu früh besorgt, voreilig genommen, so dass sie sie überzahlen musste...
„ Es war doch ein Unsinn von mir, mich mit der Heirat so zu beeilen! An dem Beispiel der Elise sehe ich, dass ich auch noch später einen Mann bekommen hätte." ... (GW XI S.120-25)
Freud zeigt hier, wie in den Assoziationen zum Traum die Signifikanten „zu früh“, „voreilig“ insistieren.
Ein Analysant spricht von seinem ersten Beischlaf als von einer Entjungferung. Dem Analytiker fällt diese eigentümliche Bezeichnung zunächst nicht auf, jedenfalls punktiert, unterstreicht er den Signifikanten nicht. Etwas später in der Stunde spricht der Analysant vom gleichen Vorgang als von einer Defloration: Er insistiert darauf und nun hört es auch der Analytiker.
Was ist aber mit Insistieren, mit Wiederholung in der Übertragung gemeint? Was insistiert oder was wird wiederholt? Vor wem spielt sich dieses Wiederholen und dieses Insistieren ab? Die vorhergehenden Bemerkungen zur Wiederholung hoben die Bedeutung von dem Verlorengegangenen hervor. So wundert es nicht, wenn für Lacan nicht das Unbewusste Objekt der Analyse ist, und er in Télévision feststellt, „dass der analytische Diskurs nicht auf der Ek-sistenz des Unbewussten begründet ist, sondern das Unbewusste einem Diskurs ek-sistiert“ (Lacan 1974, S. 15), der sich auf die Aussage, es gibt kein sexuelles Verhältnis, (= es gibt keine Komplementarität zwischen den sexuellen Partnern; der eine besitzt nicht das, was dem anderen fehlt) bezieht, also essentiell auf einen unauffüllbaren Mangel, den das Objekt a markiert. [1]
Dieses Objekt a ist eigentlicher Gegenstand der Analyse. Um aber ― asymptotisch ― zu ihm zu gelangen, um es wieder-zuholen, ist der andere/Andere des Analytikers nötig; nur im Umweg über ihn lässt sich der Mangel in seiner Wirkung erkennen und realisieren. Diesen Weg, oder vielmehr diese Umwege werde ich in der vorliegenden Arbeit nachzuzeichnen versuchen.
„ Das analytische Symptom benötigt die Ergänzung, die der Analytiker dem Leiden, über welches das Subjekt sich beklagt, hinzufügt. Denjenigen der zuhört, als Subjekt dem Wissen unterstellt wird einzusetzen, verändert die symptomatische Befriedigung: der „autistische“ Charakter des Genusses gelangt in den Kreis des Anspruches hinein, das heißt, er beginnt auf eine neue Art im Feld des Anderen zu existieren..
Diese Verschlüsselung, ihre Umwandlung in eine Botschaft, die vom Anderen herkommt und sich seiner bedient, fügt der Befriedigung des Symptoms ein Mehrgeniessen hinzu, das Subjekt lernt dadurch ein neues Geniessen kennen, dasjenige, das einfach darin besteht zu sprechen.“ (Chorne, S. 185)
Man kann also sagen, dass die Übertragung ein Umweg des Subjektes über den anderen/Anderen zu sich selbst ist. Diese Auffassung verweist auf die Hegelsche Denkfigur, gemäss der das Bewusstsein über den Andern zum Selbstbewusstsein gelangt. Dieser Weg führt über die Anerkennung, die nach Hegel der „Trieb, sich als freies Selbst zu zeigen und für den andern als solches dazu sein“ ist. (Encyklopädie § 430) Damit aber wird die Übertragung zum Instrument und die Analyse zum Ort, an dem um Anerkennung gerungen wird.
In Lacans Überlegungen zur Übertragung stehen die Funktionen des Analytikers als Subjekt dem Wissen unterstellt wird, als großer Anderer und als Objekt a, d.h. als Ursache des Begehrens, in anderen Worten seine Partizipation an den drei Registern des Imaginären, des Symbolischen und des Realen, im Vordergrund. Implizit spielt aber besonders in den zwei ersten Konfigurationen das Ringen um Anerkennung eine entscheidende Rolle. Trotz der häufigen Bezüge Lacans auf Hegel oder besser auf den Kojèveschen Hegel hat er den meines Erachtens so zentralen Aspekt des Ringens um Anerkennung in der Übertragung wenig mit diesem wesentlichen Konzept Hegels, das er in anderem Zusammenhang ausreichend gewürdigt hat, in Zusammenhang gebracht und heuristisch fruchtbar gemacht. Allerdings hält er in der Romrede fest:„ Rund heraus gesagt:, es erscheint nirgendwo deutlicher, dass das Begehren des Menschen seinen Sinn im Begehren des anderen findet. Und das nicht so sehr, weil der andere den Schlüssel zum begehrten Objekt besitzt, sondern vielmehr weil sein erstes Objekt darin besteht, vom anderen anerkannt zu werden. Welcher Analytiker weiss nicht aus Erfahrung, dass, sobald in der Analyse die Übertragung beginnt - und eben dies ist für uns der Beweis, dass sie es wirklich tut - jeder Traum des Patienten in seinem Verhältnis zum analytischen Diskurs als Provokation, als verdecktes Geständnis oder als Ablenkungsmanöver interpretiert werden muss und dass die Träume sich mit dem Fortschritt der Analyse immer mehr auf die Funktion von Elementen des sich daraus entwickelnden Dialogs reduzieren lassen?“ (Écrits, S. 268)
Die drei Stadien der Übertragung.
Die folgenden Ausführungen sollen in einem ersten Teil versuchen, den Platz des Ringens um Anerkennung in der Übertragung zu untersuchen, um dann in der Folge das Jenseits dieses Ringens in der Prägung der Übertragung durch die Anerkennung des Objektes a näher zu bestimmen.
1. In der imaginären Konstellation, in welcher der Analytiker als anderer, als imaginäres Subjekt dem Wissen unterstellt wird, fungiert, steht das Ringen um Anerkennung des Ichs im Vordergrund. Dort finden wir das wieder, was Hegel mit dem Kampf um Anerkennung, von der die Herr/Knecht Thematik eine Form ist, meint.
2. Auf der symbolischen Ebene, auf welcher der Analytiker als Anderer instituiert wird, will der Analysant als sprechendes Subjekt anerkannt werden. „Wenn Freud in der Psychopathologie der Psychoanalyse für ein neurotisches Symptom das Minimum an Überdeterminiertheit fordert, das ein Doppelsinn dergestalt konstituiert, dass das Symptom zugleich Symbol eines abgestorbenen Konflikts ist und darüber hinaus eine Funktion in einem gegenwärtigen, nicht minder symbolischen Konflikt besitzt, wenn er uns ferner lehrt, im Text der freien Assoziationen der wachsenden Verästelung einer Linie von Symbolen zu folgen, um an den Punkten, an denen die sprachlichen Formen sich überschneiden, die Knoten ihrer Struktur zu ermitteln -, dann ist bereits vollkommen einleuchtend, dass das Symptom sich ganz in einer Sprachanalyse auflöst, weil es selbst wie eine Sprache strukturiert ist, und dass es eine Sprache ist, deren Sprechen befreit werden muss.“ (Écrits, S.269)
3. Auf der realen Ebene, in welcher der Analytiker als Objekt a, als Ursache des Begehrens, ins Spiel kommt, kehrt sich das Thema der Anerkennung um, es wird transzendiert: Der Analysant „muss“ das Objekt und seine Abhängigkeit von ihm anerkennen.
Die Bewegung in der Analyse geht also über die Aufhebung des Kampfes um Anerkennung als Ich durch den kleinen anderen, über den Wunsch nach Anerkennung als sprechendes Subjekt durch den grossen Anderen hin zur Anerkennung der Abhängigkeit von dem Objekt klein a. Dies bedeutet, dass der Analytiker in der Übertragung an den drei Registern teilnimmt; dies von Anfang an und eigentlich bis zum Schluss, allerdings mit einem jeweils anderen Anteil, mit einer stets wechselnden Gewichtung.
Imaginäre Ebene.
Der Analysant, der sich, darin dem ärztlichen Patienten gleich, an einen vermeintlichen Experten adressiert, tut dies dem Anschein nach zumindest, weil er diesem ein Wissen unterstellt, das er selber nicht zu haben glaubt. Lacan vertritt die Auffassung, dass dieses unterstellte Wissen letztlich der Grund für die Übertragungsliebe ist, und dass der Analytiker zumindest in einer ersten Phase schwindeln muss (imposteur), indem er die Zuschreibung annimmt, also so tut, als sei er im Besitz eines Wissens über den Hilfesuchenden. Dessen Bereitwilligkeit zu glauben, was er erwartet, ist aber derart gross, dass dieser „Schwindel“ meist nicht erforderlich ist; eine mehr oder weniger gelungene Probedeutung führt oder ver-führt den Analysanten dazu, seine Annahme, einem Wissenden gegenüber zu sitzen, bestätigt zu sehen. Aber vor soviel Bereitschaft muss der Analytiker skeptisch bleiben und auf der Hut sein, um nicht seinerseits zum Verführten zu werden, denn so sehr der zukünftige Analysant ihm Wissen unterstellt und dieses auf Grund seines Leidens herbeisehnt, so sehr rechnet er in seinem neurotischen Geniessen damit, ungeschoren davon zu kommen: die mehr oder weniger zutreffende vom Analysanten gierig aufgesogenen Probedeutung kann geradezu auch zum Beweis für das Nichtwissen des Deutenden werden. In dieser Interaktion zwischen zwei Getäuschten liegt übrigens eine der Wurzeln des narzisstischen Anteils der Übertragungsliebe, in der das Subjekt das Objekt deshalb liebt, weil dieses so ist wie es selbst, d.h. genauso unwissend. Aber es ist wohl weniger das Wissen oder das Nichtwissen, das die Übertragungsliebe entstehen lässt, sondern ein anderer Wunsch, der sich auf den Analytiker richtet und der von Wissen/Unwissen wenig berührt wird, der Wunsch nach Anerkennung.
Der imaginäre Anspruch darauf richtet sich also besonders an das Subjekt, dem Wissen unterstellt wird, das Ringen um Anerkennung richtet sich hier an den kleinen anderen, der sich durch spiegelbildliche oder projizierte idealisierte Züge (z.B. mit Wissen ausgestattet, das der Analysant nicht besitzt) charakterisiert: er ist nur einer, wenn auch ein etwas spezieller unter den anderen Bekannten des Analysanten.
Wie schon der Begriff „imaginär“ erkennen lässt, geht es hier um Anerkennung der Bilder, die auf Identifizierungen beruhen, mit denen das Subjekt sich in seinem Ich unter der Ägide des Idealichs entfremdet. Hier bedeutet anerkannt werden verstanden werden; verstanden werden in seiner Singularität, seiner Einzigartigkeit, d.h in seinen narzisstischen Bildungen. Hier bedeutet anerkannt werden wahrgenommen, begriffen werden in den festgeschriebenen, statischen Standbildern, in denen das Ich seine sich selbst täuschende Identität konstituiert. Sei es als unerwünschtes Kind, als missverstandenes Kind. als missbrauchtes Mädchen oder als geschlagener Knabe; sei es als Märchenprinz der Mutter oder als geliebte Tochter, die dem Vater das gibt, was die Frau/Mutter ihm vorenthält.
Indem er sich selbst in all den Formen oder Verformungen seiner Identifizierungen anbietet, versucht der Analysant zu besiegen, zu idealisieren, zu entwerten, zu erniedrigen, zu interessieren oder zu langweilen. Dies immer in der Absicht den anderen dazu zu verführen, ihn anzuerkennen.
Ein Analysant erzählt einen Traum, in dem eine Prostituierte dazu verurteilt wird, auf einer Baustelle mit einer grossen Anzahl von Männern Verkehr haben zu müssen. Vor dem Bretterverhau, hinter dem sie liegt, steht ihr Zuhälter und kassiert Geld von den Schlange stehenden Männern. In seinen Assoziationen sieht er sich zunächst in der Rolle eines dieser Männer, später in der Rolle des Zuhälters und erst nach mehreren Interventionen des Analytikers kann er unter grosser Scham von seiner Identifizierung mit der Dirne sprechen.
Diese drei Gestalten, diese drei Personen, unter denen der Träumer in seinem Traum erscheint, stellen Versuche dar, vom anderen anerkannt zu werden. Er bietet sich wie ein anderer (comme un autre) für einen anderen (pour un autre) an.
Meist wird nur dieser erste Aspekt der Übertragung gesehen: das Bemühen um Anerkennung als Ziel des Anspruchs (demande). Gerade diesen Anspruch soll aber in der Kur nicht befriedigten werden, es geht darum, ihn zu überstiegen, um zum Begehren (désir) zu gelangen.
Der Analytiker kann aber diese Bewegung auch blockieren, durch seinen eigenen Wunsch nach imaginärer Anerkennung als Wissender, durch Deutungen, die auf der imaginären Ebene bleiben, durch Interventionen, die ihn als Person einbringen (auch in negierter Form:„ Ich bin doch nicht ihr Vater!“) oder durch Handlungen-Fehlhandlungen, aus denen heraus dann gelegentlich der Analysant den Weg weist. Dafür möge folgendes Beispiel stehen:
Der Analytiker ist in der Gemeinschaftspraxis während der Kaffeepause in ein Gespräch mit den Kollegen vertieft und verspätet sich um ein paar Minuten. Er stürzt ins Wartezimmer und voller Schuldgefühl murmelt er, dass er so in ein Gespräch vertieft war, dass er nicht auf die Zeit achtete. Die Analysantin beginnt die Stunde entgegen ihrer Gewohnheit mit einem langen Schweigen. Dann steht sie wortlos auf und verlässt mit wütender Miene den Raum. Auf einer imaginären Ebene liesse sich diese Reaktion als Wut aus der Enttäuschung heraus verstehen und ansprechen. Die Analysantin aber klärt (den Analytiker) in der nachfolgenden Stunde auf, indem sie sagt: „Ich hätte diese Entschuldigung von jedem erwartet oder gar verlangt, aber nicht von Ihnen. Sie sind mein Analytiker.“
Der Kampf um Anerkennung zeichnet sich in dieser imaginären Beziehung besonders durch Rivalität (Wer liebt mehr? Wer verlässt wen? Wer ist mehr auf den anderen angewiesen?) oder durch Idealisierung (Subjekt, dem Wissen unterstellt wird) gekennzeichnet. Auf dieser Ebene findet das statt, was Hegel mit der Auseinandersetzung zwischen Herr und Knecht bezeichnet hat. Seine Ausführungen zum Kampf um Anerkennung lassen sich schematisch dargestellt folgendermassen beschreiben:
„ Das Praktische kommt hier dadurch ins Spiel, dass die Erkenntnis des anderen Selbstbewusstseins als seinesgleichen das selbstbewusste Bewusstsein mit dem Problem der Anerkennung des anderen als Selbstbewusstsein konfrontiert, und die ist per definitionem ausgeschlossen. Das Bewusstsein, das in der Dialektik der theoretischen Erfahrung sich selbst als die vollständige Einheit seiner selbst mit der Gegenständlichkeit erfasst hat, kann kein anderes Bewusstsein anerkennen, das dasselbe zu sein beansprucht, was es selbst zu sein behauptet... In Hegels praktischer Philosophie bleibt das Anerkennungsthema, ...immer erhalten, in der Phänomenologie des Geistes aber wird es als ein dynamisches wirklich durchgeführt. ...Das Resultat ist die Differenz zwischen dem Herrn und dem Knecht, d.h. zwischen dem Selbstbewusstsein, das sich behauptet hat, und dem, das sich unterwirft, um am Leben zu bleiben, freilich um den Preis der Unselbständigkeit. Daraus ergibt sich nach Hegel die berühmte und unzählig oft referierte und kommentierte Dialektik von Herrschaft und Knechtschaft, die dadurch in Gang kommt, dass der Herr den Knecht zur Arbeit zwingt, und das bedeutet: Er gibt ihm seine Unselbständigkeit dadurch zu fühlen, dass er ihn mit der Selbständigkeit und Widerständigkeit der Dinge der Aussenwelt zusammenschliesst; genau dadurch aber macht der Herr sich vom Knecht abhängig, weil er ja auch, um leben zu können, der Dinge bedarf, die ihm der Knecht durch seine Arbeit bereitstellt. So macht sich der Herr im Effekt zum Knecht des Knechtes, und er eröffnet ihm zudem die Chance einer höheren Erfahrung der Freiheit des Selbstbewusstseins, die dem Herrn verschlossen bleiben muss - die Erfahrung der Unselbständigkeit der Aussenweltdinge durch die Arbeit, die deren Selbständigkeit wegarbeitet und überwindet Das Ergebnis dieser Erfahrung ist nach Hegel die Freiheit im Denken und ihre Dialektik, wie sie historisch im Stoizismus, dem Skeptizismus und dem »unglücklichen Bewusstsein« in sich zerrissener Subjektivität vieler Ausprägungen aufgetreten sei.“ (Schnädelbach, S. 64-65)
Zwei Subjekte ringen um Anerkennung, denn von diesem Ringen ist der Analytiker ja keineswegs ausgenommen, er muss, um als Analytiker „existent“ sein und bleiben zu können, vom Analysanten anerkannt werden. Dessen Anerkennung macht ihn erst zum Analytiker. Aber die Einsetzung des Analytikers zum Subjekt dem Wissen unterstellt wird, bildet eine Über-tragung von gewünschten oder vermissten Eigenschaften des Analysanten, die bearbeiten werden muss, um Platz zu schaffen für das Subjekt des Wissens und der Wahrheit, für das Unbewusste nämlich, denn in ihm, und nur in ihm fallen Wissen und Wahrheit zusammen, entziehen sich aber gleichzeitig dem Zugriff. Nur die halbe Wahrheit (la mi-vérité) ist sagbar. Voraussetzung für diesen macht ihn erst zum Analytiker. In seinem Schritt in die Kur hinein über-trägt der Analysant nun dieses ungewusste Wissen auf den Analytiker. Er versieht (sich ver-sehen) diesen mit einem Wissen, das dieser nicht haben kann. Das ist der Punkt, an dem sich Wissen und Wahrheit spalten, das ist der Ort einer Unmöglichkeit, über die sich die Übertragung als Restitutionsversuch legt. Aber die Einsetzung des Analytikers zum Subjekt dem Wissen unterstellt wird, bildet eine Über-tragung von gewünschten oder vermissten Eigenschaften des Analysanten, die erkannt und „ab-gearbeitet“ werden muss, um Platz zu schaffen für das Subjekt des Wissens und der Wahrheit, für das Unbewusste nämlich, denn in ihm, und nur in ihm fallen Wissen und Wahrheit zusammen, entziehen sich aber gleichzeitig Übergang ist auf Seiten des Analytikers sein Wissen um seine Sterblichkeit (nach Lacan das einzige Wissen, das der Analytiker mitbringen muss).„Was muss der Analytiker in der Analyse wissen? fragt Lacan und antwortet: Er weiss nicht mehr als die anderen, ausser dass er ein Wesen ist, das dem Tode geweiht ist.“ (Écrits, S. 349. Dieses Wissen aber ist nicht ein abstraktes, sondern ein in der Kur, in jeder Kur aktualisiertes. Er muss wissen, dass er als Subjekt dem Wissen unterstellt wird sterben muss, ja schon gestorben ist, dass er als Anderer sterben wird, dass er als Objekt a fallen gelassen wird, dass er für jeden einzelnen Analysanten unbrauchbar und überflüssig werden wird. Insofern ist er in der Hegelschen Position des Herrn, der seinen Tod in jeder Kur wagt und auf sich nimmt. Die Analyse wird so auch für den Analytiker zu einer Folge von Toden.
Der Wunsch nach Anerkennung, die auf der imaginären Ebene immer auch Verkennung darstellt, ist aber nicht nur ein zu beseitigender, sondern ein notwendiger Vorgang, der aufgehoben werden muss, weil er auf dem Wege der Subjektfindung ein unumgänglicher Schritt ist, der über den Umweg des Erkennens, dass das Ich durch eine anderen, für einen anderen und als ein anderes gebildet ist, zur Anerkennung auf einer symbolischen Ebene als sprechendes Subjekt führen kann. Man denke nur an die später von Lacan hinzugefügte Ergänzung des Spiegelstadiums, in welchem die imaginäre Dimension zur Voraussetzung der symbolischen Dimension der Anerkennung wird, welche das anwesende Primärobjekt durch eine Form von sprachlicher Äusserung artikuliert.
„ Die Psychoanalyse spricht nur von der einen Sache, der Verwandlung jeder subjektiven Singularität in ein Gesetz, das so notwendig ist wie die Naturgesetze, genauso kontingent und genauso absolut.“ (Milner, S. 153)
Symbolische Ebene.
Diese Bewegung, in welcher aus dem Analytiker als einem imaginären Gegenüber ein radikal Anderer wird, ist wesentlich für die Aufrichtung und Bearbeitung der symbolischen Ebene.
Eine Analysantin spricht das erste Mal vom Ende der Analyse. Der Analytiker bleibt zunächst stumm. Sie meint, er sei sicher gegen eine Beendigung zum jetzigen Zeitpunkt, er würde wohl finden, sie sei noch nicht genügend analysiert. Aber sie würde nicht länger ihm zu Liebe bleiben. Sie habe es jeweils so in ihren Liebesbeziehungen gehandhabt und weder sich noch dem jeweiligen Partner , den sie verliess, einen Gefallen getan. Der Analytiker sagt darauf hin: „Ihr Analytiker fährt also fort Sie zu lieben?“, um damit den Unterschied zwischen einer Beziehung und der Übertragung zu markieren. In der darauf folgenden Stunde erzählt sie einen Traum, in dem ihre Analytikerin (die Analysantin ist in Analyse bei einem Mann) sich von der Couch erhebt, sie an den Brüsten und am Genitale bis zum Orgasmus streichelt. Sie erlebt dabei angenehme Empfindungen. In einem zweiten Traumteil erzählt ihr die Schwester der Analytikerin, dass diese einen Penis habe und sich vor einiger Zeit eine Vagina in den Analkanal einbauen liess. Auf die Frage des Analytikers, wo diese Vagina herkomme, antwortet sie ohne zu zögern:„ Aber das ist natürlich meine.“.
Es kann hier nicht den ganzen Verflechtungen des Traumes nachgegangen werden. Es sei bloss der für diese Ausführungen relevante Zusammenhang erwähnt. Mit der Intervention des Analytikers weist dieser auf seinen unterschiedlichen Status hin, und die Analysantin bestätigt diese Position des Analytikers als die des grossen Andern, indem sie ihn als unkastrierten Anderen, als dem Gesetz der Geschlechterdifferenz enthobenen, träumt. Um diesen grossen Anderen, der nicht einem Geschlecht zugeschrieben wird, in dieser Position zu belassen, opfert sie ihm zu seiner Vervollständigung ihre Vagina.
Der Übergang, oder besser die Aufhebung zu dieser Form der Anerkennung ist das Ergebnis, das durch die Frustration und die Auflösung der imaginären Ansprüche erreicht wird. Sie erfolgen durch das Aufgreifen der Äusserungen des Unbewussten, wie es sich in seinen Versprechern, seinen Fehlhandlungen artikuliert; in ihnen manifestiert sich ja das Subjekt (des Unbewussten) in bevorzugter Weise. Indem also das Ich, das imaginäre Anerkennung sucht, frustriert wird, in seinen verfremdenden und verfremdeten Bildern nicht anerkannt d.h. aber auch nicht verkannt wird (hier fallen Anerkennen und Verkennen zusammen), wird im Analytiker der Andere gesehen, der seinerseits den Andern des Subjektes anerkennt. Weil der Analytiker nicht Adressat der Rede des Analysanten ist, geht es nicht nur um Anerkennung, sondern darum, die Negativitätsarbeit des Analysanten zu unterstützen, ihm seine Signifikanten zu restituieren. Das bedeutet aber auch, dass am Übergang von der imaginären zu symbolischen Position ein notwendiges Nein steht. Notwendig, weil die imaginäre Übertragung des Ichs und ihr Empfänger, der ja nicht ihr Adressat ist, verneint werden müssen, um zum Anliegen des Subjekts, d.h. seinem Begehren zu gelangen. Es ist leicht erkennbar, dass der Analytiker in dieser Position zum Gesetzgeber, zum Stellvertreter des Gesetzes wird, indem er die Grundregel mitteilt, indem er Nein zu den Versuchen der Triebbefriedigung in der Kur sagt. Er wird zum grossen Anderen, der radikal anders ist, der deutet, der durch Unterstreichungen und Skandierungen den Hort der Signifikanten öffnet und dadurch dem Analysanten das Subjektsein erschliesst.
Ein Analysant reagiert auf eine Signifikantendeutung des Analytikers sehr unwirsch und ungehalten, fühlt sich missverstanden, hat den Eindruck mit dieser Deutung, die der analytischen Trickkiste entnommen sei, in seiner Eigenheit nicht wahrgenommen worden zu sein. In der darauf folgenden Stunde erzählt er, er habe mit einem befreundeten älteren Mann über die Analysestunde gesprochen. Dieser habe auch die Deutung des Analytikers als fragwürdig angesehen. Auf einer imaginären Ebene hätte das Hinzuziehen einer second opinion als aggressive Geste aus der Enttäuschung heraus verstanden und gedeutet werden können; auf einer symbolischen Ebene wurde die Einführung eines Dritten oder (das musste zunächst offen bleiben) eines verdoppelten Zweiten gedeutet. Damit konnte eine sexualisierte Übertragung auf den Analytiker, die abgewehrt wurde, und die im Signifikanten, den der Analytiker in seiner Deutung aufgegriffen hatte, erkennbar werden. Er hatte sich durch Hinzuziehen eines Doppels davor zu schützen versucht.
Indem durch Deuten die imaginären Identifizierungen, die Ansprüche auf imaginäre Anerkennung einer symbolischen Anerkennung als Subjekt der Sprache, d.h. als Sprechender/Gesprochener Platz machen, kommt der Analysant seinem Begehren näher. Die Anerkennung ist hier also eine wesentlich andere: der Analysant muss als sprechendes Subjekt, nicht als entfremdet in seinen Identifizierungen anerkannt werden. Auf dieser symbolischen Ebene spricht er vor dem Analytiker, weniger zu ihm. Vergleichbar ist dieser Vorgang demjenigen, in dem sich der Psychoanalytiker, der sich nur selber autorisieren kann (ne s’autorise que de lui-même), dennoch seine Arbeit, sein Tun vor anderen darlegt. Diese machen aus ihm nicht einen Analytiker, aber sein Sich-Zeigen ist als Zeugnis vor Zeugen unabdingbar, um nicht in ausschliesslich imaginären Fehlhaltungen und Bestätigungen zu verharren, wie jener französische Analytiker (der hier ungenannt bleiben soll), der vor einigen Jahren verstarb und auf dessen Todesanzeige im immerhin angesehenen Monde zu lesen war: Psychoanalytiker von Salvador Dali!.
Reale Ebene.
Die Position des Analytikers als grosser Anderer ist aber nicht das „letzte Wort“ der Übertragung. Die Restitution der Signifikanten an den Analysanten findet keinen Abschluss, die analytische Arbeit ist eigentlich ohne Ende, unendlich. Je näher der Analysant seinem Status als sprechendes Subjekt kommt, desto näher kommt er seinem Begehren, und desto mehr wird er auf seine Abhängigkeit vom Objekt klein a, zu dem der Analytiker geworden ist, verwiesen. Wie in den beiden anderen Positionen ist es auch hier deutlich, dass der Analytiker für etwas Anderes steht, dass er nie selbst gemeint ist, dass er nicht Objekt des Begehrens, sondern Ursache des Begehrens ist. Objekt a kann definiert werden als dasjenige, an welches das Subjekt gebunden ist, welches seine Spaltung determiniert; sein bevorzugtes Objekt, das aus einer primitiven Trennung hervorgeht, die durch die Nähe zum Realen induziert wurde.
An diesem Punkt geht die Lacansche Auffassung der Übertragung, die in den beiden bisher aufgezeigten Positionen Gemeinsamkeiten mit einem hermeneutischen Ansatz hat, eindeutig und unmissverständlich über diesen hinaus.
Der hermeneutische Ansatz berücksichtigt nur die Bereiche des Imaginären und des Symbolischen, er kennt das Reale nicht, das sich entzieht, das sich nicht ins Symbolische einreiht, auf das Brüche, Risse und Wiederholungen hinweisen und das sich durch Trägheit und Klebrigkeit auszeichnet. Die Psychoanalyse betont den uneinholbaren Mangel im Anderen, dessen Andersheit sich nicht in Sinn umsetzen oder auf Sinn reduzieren lässt, wie es die Hermeneutik in ihrer Überzeugung postuliert, die Andersheit würde sich in einem fortlaufenden Prozess, der unendlich sein mag, doch letztendlich in Sinn auflösen (mit allen Bedeutungen des Wortes).
Die Psychoanalyse, wie sie besonders der späte Lacan verstand, insistiert auf das Gewicht des Objektes als Ursache des Begehrens des Subjektes. Die Ursache des Begehrens als etwas reales bleibt opak, aus der Sinndimension ausgeschlossen, auch wenn das Begehren wegen seines Durchgangs durch die Sprache sprachlich artikuliert ist. Wegen dieses Durchgangs und wegen der daraus folgenden notwendigen sprachlichen Artikulation ist die Hermeneutik der Psychoanalyse nicht fremd, und hat auf der Ebene des durch das Spiel der Signifikanten sich ergebenden Sinnes durchaus ihre Daseinsberechtigung, aber der Sinn und seine Interpretation greifen psychoanalytisch gedacht zu kurz. Worauf es ankommt ist das Jenseits des Sinnes, dasjenige, das sich dem Sinn und seinem Zugriff entzieht, der Nicht-Sinn, der durchaus Un-Sinn sein kann. Aber schon die Bezeichnung „Nicht-Sinn oder Un-Sinn“ sind wieder Versuche dem Loch, das Lacan in seiner Tore beschrieben hat, einen Sinn zu geben. Dabei verdeutlicht gerade diese topische Figur die Grenzen der Hermeneutik und ihren Unterschied zum psychoanalytischen Vorgehen.

Der Tore ist ein Gebilde nicht unähnlich einem Schlauch, (wie man ihn in einem Autoreifen vorfindet) der einen leeren Raum, ein Loch als Kreis umgibt. Der Anspruch dreht sich um Objekte, die sich im zirkulären Loch (in der Luftkammer) befinden, und verfehlt dabei ständig die ursächlichen Objekte des Begehrens, die Objekte a, die ihrerseits Abkömmlinge des Dings sind, das sich im zentralen Loch „befindet“. Für die Psychoanalyse ist das Loch das Primäre, um das herum sich das Subjekt mit seinen Ansprüchen und seinem Begehren konstituiert, ein Primäres oder ein Letztes, das aber niemals den Bemühungen des Subjektes einen Sinn geben kann, während die Hermeneutik wohl von einem Horizont, einer Grenze ausgeht, die aber gerade das Zu-Interpretierende in einen Sinnzusammenhang eintaucht.
Wie zeigt sich in der Kur diese dritte Gestalt der Übertragung? Entgegen der Meinung von manchen seiner Gegnern (man denke an die Ausfälle eines A. Greens) existieren für Lacan nicht nur Worte. Die Diskurse baden im Unbewussten, können es aber nicht erfassen. Hier kommen starke Affekte ins Spiel, der Analytiker wird gehasst oder leidenschaftlich geliebt.
Eine Passage aus Freuds Rattenmann illustriert das Gemeinte:
„ Es kam bald dazu, dass er mich und die Meinigen in Träumen, Tagesphantasien und Einfällen aufs gröblichste und unflätigste beschimpfte, während er mir doch mit Absicht niemals etwas anderes als die grösste Ehrerbietung entgegenbrachte. Sein Benehmen während der Mitteilung dieser Beschimpfungen war das eines Verzweifelten. „Wie kommen Herr Professor dazu, sich von einem schmierigen, hergelaufenen Kerl wie ich so beschimpfen zu lassen? Sie müssen mich hinauswerfen; ich verdiene es nicht besser.“ Bei diesen Reden pflegte er vom Diwan aufzustehen und im Zimmer herumzulaufen, was er zuerst mit Feinfühligkeit motivierte; er bringe es nicht über sich, so grässliche Dinge zu sagen, während er behaglich daliege. Er fand aber bald selbst die triftigere Erklärung, dass er sich meiner Nähe entziehe, aus Angst von mir geprügelt zu werden. Wenn er sitzen blieb, so benahm er sich wie einer, der sich in verzweifelter Angst vor masslosen Züchtigungen schützen will; er stützte den Kopf in die Hände, deckte sein Gesicht mit dem Arme, lief plötzlich mit schmerzlich verzerrten Zügen davon usw. Er erinnerte, dass der Vater jähzornig gewesen war und in seiner Heftigkeit manchmal nicht mehr wusste, wieweit er gehen durfte. In solcher Schule des Leidens gewann er allmählich die ihm mangelnde Überzeugung, die sich jedem andern nicht persönlich Beteiligten wie selbstverständlich ergeben hätte; dann war aber auch der Weg zur Auflösung der Rattenvorstellung frei.“ (GW VII S. 429)
Es kann gerade auf dieser Ebene zu starken beunruhigenden Reaktionen (meist beruhen acting outs auf dieser Basis) kommen. Der Analytiker wird zu einem leidenschaftlich geliebten, zu einem paranoid verfolgenden oder zu einem intrusiven, unter der Haut steckendem Objekt. Gelegentlich treten an dieser Stelle passagere perverse Symptome auf. Sie sind ein Hinweis darauf, dass der Analysant sich durch Umkehrung der Phantasmaformel (S◊a wird zu a◊S) gegen die nicht mehr zu übersehende Abhängigkeit vom Objekt a richtet [2].
Die Arbeit an dieser schwierigen, von Emotionen und Affekten geladenen Übertragung (travail de transfert), in der immer wieder ein Anlauf genommen wird, den Analytiker aus der Position des Deutenden herauszustossen, ist besonders wichtig, erlaubt doch gerade sie den Zugang und die Bearbeitung des Phantasmas.
Eine Analysantin berichtet, dass sie während einigen Wochen nach den Stunden, in denen der Analytiker Deutungen „gegeben“ hatte, erbrechen musste.
Ein zwanghaft strukturierter Analysant beschimpft den Analytiker mit unflätigsten Worten und geniesst voller Schuldgefühle die Situation ungemein.
Bei einem anderen Analysanten fällt auf, dass er systematisch an den Interventionen des Analytikers vorbei redet, bis nach einiger Zeit deutlich wird, dass er nicht auf den Inhalt des Mitgeteilten hört, sondern der Stimme, dem Klang der Worte fasziniert nachhängt.
Diese kurzen Beispiele stehen für Positionen des Analytikers als Objekt a, jeweils als Brust, Kot oder Stimme.
Das Ringen um Anerkennung des Ichs in seinen verfremdeten Aspekten mit dem imaginären anderen und als sprechendes Subjekt mit dem (symbolischen) Anderen ist also hier verschoben hin zu einer Arbeit, in deren Zentrum die Anerkennung der Abhängigkeit vom Objekt, das seinerseits nur ein Repräsentant des Dinges ist, steht. Die Anerkennung dieses Dinges ist der zentrale Punkt der Kur und bildet in seiner Unabschliessbarkeit, in seiner Fragilität, die eine einmal erreichte Position immer wieder als vorläufige erweist, das, was Freud als den festgewachsenen Felsen bezeichnet.
Zum Schluss sei noch einmal, um Missverständnissen einen Riegel vorzuschieben, darauf hingewiesen, dass ich in diesem Text immer wieder von Ebenen und nicht etwa von Phasen oder Etappen gesprochen habe. In der Tat, die drei dargestellten Aspekte der Übertragung sind von Anfang bis Ende des Analyse stets vorhandene Konfigurationen, deren jeweiliger Anteil am Geschehen stark schwankt und im günstigsten Falle zu einer Verschiebung weg von der dem Analytiker zugeschriebenen Position von kleinem anderen hin zum grossen Anderen und Objekt a aufzeigt. Dass nicht selten in den letzten Stunden einer einigermassen zufriedenstellenden Analyse der Analysant nicht nur die Phantasie aufrecht erhalten hat, dass der Analytiker ihm in der letzten Sitzung endlich die Wahrheit über ihn sagen würde, sondern diesen Anspruch auch lautstark einfordert, ist wohl Beweis genug dafür, dass imaginäre Ansprüche ― und wie könnte es anders sein ― nie ganz aufgegeben werden können.

Bibliographie.
L.-M Chorne. (1998): Le pas le plus important. In: Le symptôme-charlatan. Seuil, Paris.
S Freud. (1915): Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse. GW XI.
S. Freud. (1907): Bemerkungen über einen Fall von Zwangsneurose. GW VII.
J. Lacan. (1966): Fonction et champ de la parole. In Écrits. Seuil, Paris.
J. Lacan. (1966): Variations de la cure-type. Ibid.
J. Lacan. (1974): Télévision. Seuil, Paris.
J.C. Milner. (1995): L'oeuvre claire. Seuil, Paris.
H. Schnädelbach. (1999): Hegel. Eine Einführung. Junius. Hamburg.


[1] (Das Objekt a ist bei Lacan die Ursache, der Grund des Begehrens und determiniert als solches wesentlich das Subjekt. Es fällt nicht zusammen mit den üblichen Objekten, auf die sich das Verlangen richtet und die lediglich Substitute des Objektes a sind.)

[2] (In dieser Formel, die gelesen werden kann als: Das (immer) gespaltene Subjekt in seiner Markierung, Prägung (◊ steht für Punze, wie man sie an Silbergegenständen findet) durch das Objekt a, stellt Lacan die unterschiedlichen Ausrichtungen des Subjektes in seiner Abhängigkeit vom Objekt dar. Das Phantasma schützt das Subjekt einerseits vor dem horror des Realen und andererseits vor der radikalen Abhängigkeit von den Signifikanten.)

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